Tochter des Ratsherrn
soll noch heute vollstreckt werden, man will sie auf dem Scheiterhaufen brennen sehen.«
»Was?«, stieß Albert aus und sprang auf die Füße.
»Nein, das darf einfach nicht sein! Wann genau soll die Hinrichtung stattfinden?«, fragte Walther drängend. Als Oda nicht gleich antwortete, stürmte er auf sie zu und packte sie grob an den Schultern. »Wann?«
»Nach der Versammlung«, schluchzte diese und vergrub ihr Gesicht in den Händen.
Walther drehte sich zu Godeke und Albert um, die ebenso erschrocken waren wie er. Er versuchte, einen klaren Gedanken zu fassen, doch seine Angst um Runa war übermächtig. Mit beiden Händen fuhr er sich durch die Haare. Dann begann er, in der Diele auf und ab zu stapfen, und blieb schließlich mit dem Gesicht zur Wand stehen. Völlig unvermittelt stieß er ein so wütendes Gebrüll aus, dass die Frauen zusammenzuckten, und trat voller Wucht zweimal gegen die Truhe, auf der Albert eben noch gesessen hatte. Seine Gedanken rasten. Er hatte Runa alleingelassen, und nun sollte sie sterben. Wenn das tatsächlich geschah, würde er sich nie verzeihen können, und auch von Albert und Godeke wäre keine Vergebung zu erwarten, das wusste Walther. Doch wie sollte er ihren Tod jetzt noch verhindern? Plötzlich schämte er sich so sehr, dass er es nicht über sich brachte, sich umzudrehen und den beiden in die Augen zu sehen. Konnte es wirklich sein, dass er alles falsch gemacht hatte?
»Ich verstehe das nicht«, sagte Godeke verzweifelt. »Warum ist es nicht bei einem Verhör geblieben? Wieso eine Bursprake?«
»So wie es aussieht, haben wir das wohl Johannes vom Berge zu verdanken«, antwortete seine Frau. »Wie ich hörte, hat er bei der letzten Ratssitzung vorgeschlagen, Runa vor den Augen der Grafen zu verbrennen, um diesen die Macht des Rates darzulegen. Man erzählt sich, er habe damit die Überflüssigkeit des gräflichen Vogtes für die Stadt aufzeigen wollen. Da aber einige wenige Ratsherren und der Bürgermeister dagegen waren, einigte man sich auf eine Bursprake.« Oda versuchte stark zu sein, doch ihr zitterndes Kinn verriet, wie sehr sie um Fassung kämpfte. Nach diesen Worten ging sie zu Ava hinüber, die wie betäubt vor Kummer bei ihnen stand.
»Johannes vom Berge also, ich habe es geahnt …«, spie Albert verächtlich aus und verzog angewidert das Gesicht. »Wir müssen sofort handeln.« Auch ihm fiel es angesichts der überwältigenden Neuigkeiten schwer, einen klaren Gedanken zu fassen, doch was er mit Sicherheit wusste, war, dass ihnen nicht mehr viel Zeit blieb, um Runa zu Hilfe zu eilen. »Kommt. Wir müssen zum Kunzenhof.«
»Vater, was hast du vor? Du bist kein Ratsherr mehr, vergiss das nicht.«
»Danke, dass du mich daran erinnerst, Sohn«, erwiderte Albert bitter, fügte aber gleich in drängendem Ton hinzu: »Dennoch bin ich mir sicher, dass alles besser ist als hier noch länger herumzustehen und sich gegenseitig die Gesichter zu zerschlagen.« Damit packte er Godeke und Walther roh bei den Armen und zerrte sie mit sich. »Kommt jetzt, ich erkläre euch alles auf dem Weg.«
Die Männer liefen die Pelzerstraße entlang Richtung Berg. Währenddessen berichtete Albert ihnen von seiner Unterredung mit Eccard Ribe. »Während meines Einlagers hat mir der Ritter erzählt, er habe ein Gespräch belauscht, in dem Johannes vom Berge mit Graf Gerhard II. über das spurlose Verschwinden Thiderichs mitsamt der Münzen gesprochen hat.«
»Und? Ich verstehe nicht ganz, was du damit sagen willst«, gab Walther unverblümt zu.
»Zu dieser Zeit konnte Johannes vom Berge noch gar nicht wissen, dass Thiderich verschwunden war. Niemand außer uns wusste von seiner Reise nach Plön. Vor allem aber konnte er nicht wissen, dass Thiderich die Münzen des Grafen bei sich trug.«
»Du meinst, Johannes vom Berge hat etwas mit Thiderichs Entführung zu tun?«, fragte Walther erstaunt.
»Ja. Ich erinnere mich noch genau daran, dass Johannes an einer bestimmten Ratssitzung nicht teilnehmen konnte, da er auf Reisen war. Während genau dieser Ratssitzung trug Willekin Aios den Inhalt eines Briefs vor, der ihm zuvor im Geheimen zugespielt worden war. Dieses Schreiben hatte Thiderichs Reise zum Gegenstand, welche letztlich zu meinem Ausschluss aus dem Rat führte. Es passt alles wunderbar zusammen. Durch seine Abwesenheit wurde jeder Verdacht von Johannes vom Berge genommen, aber in Wahrheit befand er sich bereits auf dem Weg nach Plön zu Gerhard II., wo er dem Grafen Gift ins Ohr
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