Tochter des Ratsherrn
Neuigkeiten aus dem Grafenhaus gibt. Kürzlich wurde mir angetragen, dass die Söhne Gerhards I. und dessen beide Vettern nun belieben, je einen eigenen Vogt als Vertreter einzusetzen, der die Belange seines Herrn in der Stadt vertritt. Auch wenn noch keine Gewissheit über die wahren Gründe herrscht, wage ich zu behaupten, dass dies eine Folge des Vorfalls auf dem Kunzenhof ist. Das Vertrauen der Grafen zueinander ist stark erschüttert.«
Sofort nach diesen Worten brach ein wilder Tumult aus. Willekin Aios hatte das erwartet. Schon der eine Vogt war nicht sonderlich beliebt in Hamburg, doch das Einsetzen gleich dreier Vögte war in vielerlei Hinsicht töricht. Der bisherige Vogt hatte schon jetzt kaum noch uneingeschränkte Befugnisse. Der Rat hatte in den vergangenen Jahren dafür gesorgt, dass die Geschicke der Stadt dem Grafen und somit seinem Vogt mehr und mehr entzogen wurden. So war zum Beispiel die Leitung der gerichtlichen Verfahren des Vogtgerichts durch zwei Beisitzer aus dem Rat beschnitten worden, und auch die meisten Aufgaben, welche das öffentliche Leben betrafen, lagen mittlerweile fast vollständig beim Rat.
Nachdem sich der erste Ärger etwas gelegt hatte, ergriff der beleibte Hans Wulfhagen das Wort. »Drei Vögte für eine Stadt? Was soll das für einen Sinn ergeben?«
Ungeduldig fiel Hartwic von Erteneborg mit in die Diskussion ein. »Das kann nicht funktionieren. Jedermann weiß doch, dass die Grafensöhne sich untereinander nicht den Dreck unter den Fingernägeln gönnen. Wie also sollten die Aufgaben eines Vogtes dann auf drei Männer aufgeteilt werden?«
Olric Amedas antwortete aufgebracht: »Es ist doch klar, was die Grafen mit diesem Streich erreichen wollen. Der Rat soll zurückgedrängt werden, damit die Vögte wieder größeren Einfluss erlangen. Ich sage Euch, das muss verhindert werden!«
Nun erhob sich Johannes vom Berge, worauf augenblicklich Schweigen einsetzte. Der Ratsherr und Kaufmann hatte sich aufgrund seiner erfolgreichen Handelstätigkeiten mit den Jahren großen Respekt unter seinesgleichen verdient. Sein Wort zählte in der Stadt – sehr zum Missfallen von Albert, der ihn von der Seite aus anschaute. »Meine Herren, für mich liegt der Fall klar und deutlich auf der Hand. Die Stadtherren verlieren seit Jahren ihren Einfluss in Hamburg. Viel zu lange schon fordern die Fehden mit einer Vielzahl von Adeligen ihre Aufmerksamkeit und auch ihre Münzen. Mindestens genauso lange schon vernachlässigen die Grafen die Wahrung der Sicherheit der Bürger auf den Handelswegen.«
»Ihr erzählt uns nichts Neues, vom Berge«, bemerkte Albert spitz, was sein Feind allerdings abzutun versuchte, indem er einfach weitersprach.
»Gebt Euch nicht unwissend, meine Herren. Die Stadt hätte schon längst unabhängig sein können, gäbe es nicht immer noch einige grafenfreundliche Kaufleute und Ratsherren unter uns, die ihnen ihr Silber in den Rachen werfen.« Ganz bewusst schaute er nach diesen Worten in die Runde, sein Blick blieb an Albert hängen.
»Was wollt Ihr damit sagen?«, fragte Willekin Aios mit einem erwartungsvollen Unterton. Er mochte Johannes vom Berge nicht besonders, wusste er doch, dass dieser stets Unruhe mit seinen streitsüchtigen Äußerungen stiftete, die es dann von ihm als Bürgermeister wieder zu schlichten galt.
»Ihr wisst, was ich meine. Ihr alle! Solange Männer wie Folpert Krempe, Bertram von Hemechude, Herman Morsel oder Albert von Holdenstede den Grafen jegliche Besitzungen abkaufen oder sie an ihren Geschäften beteiligen und somit immer wieder stärken, werden sie ihren Einfluss auf die Stadt niemals verlieren.«
Mit jedem Wort, das Johannes sprach, wurde Albert wütender. Zweifellos galt seine flammende Rede ihm. Es war schließlich kein Geheimnis, dass Albert durch seinen geschickten Handel mit Gerhard I. Reichtum erlangt hatte und dass dieser ertragreiche Handel damals wie heute natürlich auch dem Grafenhaus zugutekam. Damals hatte die Lage in der Stadt jedoch noch anders ausgesehen. Es war durchaus üblich gewesen, mit dem Grafen zu handeln; niemand hatte Anstoß daran genommen. Dass Johannes nun versuchte, die Schwierigkeiten, die sich durch das dreigeteilte Erbe ergaben, zu Alberts Nachteil auszulegen, bestätigte nur den Verdacht, der ihn schon vor geraumer Zeit beschlichen hatte: Die alte Feindschaft lebte wieder auf! Albert mahnte sich zur Vorsicht, damit er dem mittlerweile sehr einflussreichen Johannes vom Berge nicht in die Falle ging.
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