Tochter des Ratsherrn
die etwas zu kräftig geratene Nase? Sie wusste es nicht genau.
Als das Mädchen den Teller geleert hatte, zeigte Marga ihm das Haus. Sie liefen hintereinander die Stiegen hinauf, schauten in jede Kammer und gingen die einzelnen Aufgaben durch, die es tagtäglich zu erledigen galt. Schließlich machten sie sich auf den Weg zurück nach unten, begutachteten eingehend die Küche und die gemeinsame Kammer und liefen dann durch die Diele und in den verschneiten Hinterhof.
»Hierhin gehst du jeden Morgen als Erstes. Du musst ein Loch in das zugefrorene Reichenstraßenfleet stoßen, damit du Wasser zum Kochen und Waschen hast. Es friert jede Nacht wieder zu. Der Brunnen führt schon seit Wochen kein Wasser mehr. Hast du verstanden?«
Johanna nickte.
»Gut, dann lass uns wieder hineingehen, sonst holen wir uns noch den Tod. Ich werde mal sehen, ob ich etwas für dich zum Anziehen finde. Dein Kleid fällt dir ja gleich vom Leib, und einen Mantel scheinst du auch nicht zu besitzen, oder?«
Sichtlich betrübt senkte Johanna den Kopf, schüttelte ihn.
»Nun schau nicht so. Die Herrschaft wird dich schon nicht frieren lassen. Es sind gute Leute. Ich diene der Familie schon mein Leben lang, und man war immer gut zu mir. Und darum sieh dich vor: Wenn ich merke, dass du nachlässig bist, werde ich keine Gnade mit dir walten lassen. Aber nun komm mit mir. Du kannst vorerst ein altes Kleid von mir tragen.«
Gemeinsam gingen sie zurück ins Haus. Als sie in der Küche standen, erhellte sich plötzlich Margas Blick. »Poppo, mein Guter. Hast du es schon wieder geschafft, dich an mir vorbeizuschleichen? Ist es dir draußen etwa zu kalt geworden?« Liebevoll strich sie dem Kater über das schwarze Fell. »Das ist unser Poppo. Er hält die Mäuse von der Küche fern«, erklärte sie Johanna.
Wieder nickte das Mädchen und setzte ein Lächeln auf. Als es aber auf den Kater zuging und eine Hand nach ihm ausstreckte, fing dieser an, wie wild zu fauchen, und hieb der Magd die Krallen ins Fleisch. Erschrocken zog sie ihre Hand zurück, die sogleich zu bluten begann.
»Was ist denn in dich gefahren, du kleiner Dämon? Wenn du dich so benimmst, dann musst du draußen bleiben.« Marga packte den Kater und warf ihn hinaus auf den Hof. »Das hat er nun davon. Jetzt kann er die Nacht in der Kälte verbringen. Seltsam, so verhält er sich sonst bloß bei Männern. Das ist auch der Grund, warum er nur in die Küche darf. Lass ihn niemals ins Haus, hast du verstanden? Das duldet der Herr nicht.«
Während Marga sich um die blutende Hand von Johanna kümmerte, schwatzte sie weiter: »Man kann es Poppo ja fast nicht übelnehmen, dass er dich für einen Knaben gehalten hat, so dünn, wie du bist. Lass mich nur machen. In ein paar Tagen hast du wieder rosige Wangen.«
6
Noch immer war der Bau des Rathauses in vollem Gange. Von überallher drangen Geräusche. Es wurde geklopft, gehämmert, gezogen, gestrichen, gefeilt. An manchen Tagen wünschte Willekin Aios sich die Ruhe des früheren Rathauses – des Eimbeckschen Hauses – zurück. Er wusste, dass die Arbeiten noch eine ganze Weile andauern würden. Dann aber, wenn alles getan war, würde der Bau mit Sicherheit sämtliche Erwartungen übertreffen und einer Stadt wie Hamburg in seiner Pracht gerecht werden. Willekin Aios sah sich um. Wenigstens das hölzerne Gehege für die Sitzungen des Rates war schon früh fertig geworden, dachte er bei sich.
Das Gehege war ein im Norden des Rathauses befindlicher, mit niedrigen Holzwänden abgetrennter Bereich, der nur den Ratsmitgliedern zugänglich war. Er musste ohne Waffen betreten werden und diente ausschließlich deren Sitzungen. In der Mitte stand ein mächtiger Tisch, an dessen Längsseiten die Ratsherren nach der Dauer ihrer Ratszugehörigkeit Platz nahmen. An seinem Kopfende saßen die Bürgermeister – so auch Willekin Aios.
Er war wie immer einer der Ersten, der das Gehege betrat. Erst nach und nach folgten die übrigen Ratsherren und begaben sich auf ihre Plätze. Am Schluss trafen Johann Schinkel und die Ratssekretäre ein.
Als alle Herren saßen, erhob sich Willekin Aios und schaute in die Runde. Die Sitzung heute würde anstrengend werden. Noch war alles friedlich.
Jeder Einzelne blickte ihn erwartungsvoll an. Weiße Wolken stiegen aus den Mündern nach oben. Trotz der glimmenden Kohlebecken, die im Gehege standen, war es bitterkalt im Rathaus.
»Meine Herren. Ich habe so kurzfristig eine Ratssitzung einberufen, weil es wichtige
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