Tochter des Ratsherrn
Er bemühte sich um ein gelassenes Gesicht, lehnte sich mit verschränkten Unterarmen auf den Tisch und sprach: »Ich bin mir sicher, dass der Rat auch ohne Eure hitzige Darbietung von den Problemen weiß, welche der Machtwechsel mit sich bringt. Deshalb frage ich mich, ob Ihr denn gedenkt, dem ehrenwerten Rat einen Vorschlag zu machen, wie der von Euch genannte Missstand zu lösen sei?«
»Ja, das würde mich auch interessieren, vielmehr noch als bloße Anschuldigungen Eurerseits.« Der ebenfalls aufgezählte Folpert Krempe war hörbar beleidigt.
Doch Johannes vom Berge büßte nichts von seiner Selbstsicherheit ein. Es schien, als hätte er nur auf diese Gelegenheit gewartet. Langsam erhob er sich aus dem Ratsgestühl und legte seine Handflächen flach auf das hölzerne Tischblatt. »Und ob ich einen Vorschlag habe, meine Herren. Die Grafen dürfen keine übermäßigen Zahlungen mehr erhalten. Hamburg muss endlich unabhängig werden!« Der Blick, den er durch die Runde schweifen ließ, duldete keinen Widerspruch. »Warum sonst haben wir uns die Einnahmen des Zollhauses vor langer Zeit einverleibt, und warum sonst ist die Obermühle schon seit über zwanzig Jahren und die Niedermühle seit acht Jahren unter städtischem Einfluss? Der Rat sollte jetzt nicht aufhören, nach Unabhängigkeit zu streben. Im Gegenteil – wir sollten die städtische Münze kaufen und uns gegen zwei weitere Vögte zur Wehr setzen, um auch noch die letzten beiden der gräflichen Amtmänner zu entmachten. Vor allem aber müssen wir verhindern, dass die Truhen der Grafen weiter durch Bürger dieser Stadt gefüllt werden.« Er donnerte die Faust so heftig auf den Tisch, dass einige der Anwesenden zusammenzuckten. »Ich fordere eine sofortige Abstimmung, um diesen Missstand zu beseitigen!«
Nun war es Alberts Faust, die ungehalten auf das Holz krachte. »Das ist unmöglich!«, rief er aufgebracht. »Für eine solche Abstimmung muss der vollständige Rat zusammenkommen. Ihr wisst genauso gut wie ich, dass der hier abwesende alte Rat eine Vielzahl an Kaufleuten enthält, deren Geschäfte nur deshalb Bestand haben, weil die Grafen mit ihren Familien verbandelt sind oder in der Vergangenheit entsprechende Abkommen getroffen wurden. Sie würden einem solchen Beschluss niemals zustimmen.«
»Meint Ihr etwa diejenigen, die genau wie Ihr Hündchen der Schauenburger sind?«, fragte Johannes vom Berge mit einem boshaften Lächeln.
Nach diesen Worten sprang Albert auf, und auch die übrigen Ratsherren schnellten von ihren Bänken. Mit erhobenen Fäusten und hochroten Köpfen brüllten sie einander so laut an, dass niemand mehr auch nur ein Wort verstand.
»Was erlaubt Ihr Euch, vom Berge?«
»Das ist unerhört …!«
»Meine Geschäfte sind rechtens …!«
Nur langsam hob sich eine tiefe, sonore Stimme von den anderen ab. Es war die des Bürgermeisters. »Genug! Aufhören!«, brüllte er und schlug mit der Faust auf den Tisch. »Ich sage, genug jetzt!« Als endlich wieder Ruhe eingekehrt war und alle Männer Platz genommen hatten, sprach er außer Atem: »Ich denke, Ihr habt recht, Albert von Holdenstede. Diese Entscheidung betrifft den gesamten Rat. Ich werde eine entsprechende Versammlung einberufen. Die Ratssitzung ist somit vorerst beendet.«
Eigentlich war es der richtige Augenblick, doch Runa wusste einfach nicht, wie sie beginnen sollte. Seit einer ganzen Weile schon saß Walther ihr schweigend gegenüber. Sie waren allein in der Stube; niemand sollte bei ihnen sein, wenn sie ihrem Mann beichtete, was sie getan hatte. Vor ihnen standen seine liebsten Speisen auf dem Tisch, und auch sie selbst hatte sich hübsch zurechtgemacht. Nun musste sie bloß noch den Mund aufbekommen – das aber war der schwierigste Teil.
»Wie schmeckt es dir?«, fing Runa langsam an.
»Ausgezeichnet. Wie immer«, lautete seine knappe Antwort.
Wieder folgte Schweigen. Es war nicht zu leugnen, Walther hatte schlechte Laune.
Runa wusste, dass ihn die Neuigkeiten der Ratssitzung schon den ganzen Tag beschäftigten. Normalerweise hätte sie den Gedanken, Walther von Godekes Nachforschungen in Friesland zu erzählen, unter diesen Gegebenheiten verworfen, doch sie hatte es ihrem Bruder versprochen. Runa ärgerte sich. Sie war doch sonst nicht so zaghaft, warum heute? Schließlich holte sie tief Luft und gab sich einen Ruck. »Walther, ich …«
Wie der Zufall es wollte, kam Johanna in genau dem Moment mit einem Krug Wein herein.
Walther blickte auf. »Wer ist das
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