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Tochter des Ratsherrn

Tochter des Ratsherrn

Titel: Tochter des Ratsherrn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Tan
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verzeiht unser Eindringen, Herrin«, sprach die Mutter mit fester Stimme. Der Ton ihrer Worte ließ keinen Zweifel daran, dass sie es gewohnt war, Anweisungen zu erteilen. »Es ist ein harter Winter, und wir haben nicht genug zu essen. Meine Johanna hier sieht nicht danach aus, aber sie kann kräftig zupacken. Ich habe gehört, Ihr sucht eine Magd für Eure Hauswirtschaft. Ich bitt’ Euch, nehmt meine Tochter auf, Ihr werdet es sicher nicht bereuen.«
    Es war durchaus nicht ungewöhnlich, dass es sich herumsprach, wenn in einem Haushalt eine Magd gebraucht wurde. Dennoch war Runa ein wenig verwundert, wie schnell sich diese Nachricht verbreitet hatte, doch darüber wollte sie jetzt nicht nachdenken. Sie wollte eine Magd, und hier stand eine vor ihr! Entschlossenen Schritts ging sie auf das Mädchen zu, welches seinerseits einen Schritt zurückwich. Noch immer hatte es den Blick gesenkt.
    Ehe sich’s das Mädchen allerdings versah, versetzte ihm die Mutter einen blitzschnellen Hieb auf den Hinterkopf. »Du dummes Ding! Sei gefälligst fügsam, wenn die Herrin dich anschauen will.«
    Wortlos trat das Mädchen vor, während Runa die Hand ausstreckte und der dürren Magd das Kinn hob.
    Weder Runa noch Godeke ahnten, dass sie in dem Moment beide das Gleiche dachten: Das Mädchen kam ihnen bekannt vor, doch sie hätten nicht sagen können, warum.
    »Wie alt bist du?«, fragte Runa mit zusammengekniffenen Augen.
    »Ungefähr achtzehn«, antwortete die Mutter anstelle des Mädchens. Gleich darauf erklärte sie, was Runa mit ihrem skeptischen Blick fragte. »Meine Johanna kann nicht sprechen, Herrin. Aber sie versteht, was Ihr sagt. Seid Euch gewiss, sie ist tüchtig und kann alles tun, was in Eurem Haushalt anfällt.«
    Runa stutzte, doch sie verspürte großes Mitleid mit dem ausgezehrten Geschöpf. Viele der Bauern hatten keine Möglichkeit, all ihre Töchter zu verheiraten und ihren Söhnen ein Erbe zu hinterlassen, von dem diese leben konnten. Kam dann auch noch ein harter Winter dazu, starb so manch einer von ihnen an Kälte und Hunger. »Also gut, sie kann bleiben«, entschied sie unvermittelt. »Marga, bitte zeige Johanna ihre Kammer, und weise sie ein.«
    Nachdem sich die Bäuerin auf ihre derbe Art bedankt hatte und Marga mit dem Mädchen in der Küche verschwunden war, blieben Runa und Godeke allein in der Vorhalle zurück.
    »Ich finde das Mädchen seltsam, Runa. Irgendwas stimmt nicht mit ihm, aber ich kann nicht sagen, was es ist. Vielleicht solltest du es besser wieder fortschicken.«
    »Ach, Godeke, du machst dir nur wieder zu viele Sorgen um mich. Ich brauche doch eine Magd, schließlich kann Marga nicht ewig bei mir wohnen. Außerdem solltest du dich daran erinnern, dass unsere Mutter einst auch arm war und nur deshalb überlebte, weil sich unsere gute Großmutter Mechthild ihrer annahm. Wir sollten nun das Gleiche für Johanna tun.«
    Darauf wusste Godeke nichts zu erwidern. Seine Schwester hatte recht. Eine innige Umarmung später trat er hinaus auf die kalte weiße Gasse. Dass die dralle Bäuerin von eben nur wenige Straßen von ihm entfernt ein paar Münzen für ihre just erbrachten Dienste erhielt, bekam er nicht mit.
    Stumm, wie sie nun mal war, folgte Johanna Marga in die Küche. Dabei sah sie sich mit großen Augen um. Wie lange schon war sie nicht mehr in einem solchen Haus gewesen? Ein Haus aus Stein, in dem es warm und behaglich war und in dessen Küche es so gut nach Essen roch, dass sich ihr augenblicklich schmerzhaft der Magen zusammenzog. Ein lautes Knurren verriet ihre Gedanken.
    »Heilige Mutter Gottes, war das dein Bauch?«, fragte Marga besorgt und stemmte die Arme in die Hüften. »Wann hast du denn zuletzt gegessen?«
    Johanna zuckte nur mit den Schultern.
    »Ach ja, du kannst ja nicht sprechen. Setz dich erst einmal dort drüben hin. Ich werde dir einen Teller Eintopf bringen.« Behutsam schob sie das dürre Mädchen auf eine Holzbank.
    Nur wenig später hatte die neue Magd einen dampfenden Teller vor sich stehen, dessen Inhalt sie begierig und ohne Zurückhaltung in sich hineinstopfte.
    Marga setzte sich an die andere Seite des Tischs und betrachtete das Mädchen eingehend. Es war sehr blass und hatte ungefähr Margas Größe. Kaum zu glauben, dass es tatsächlich schon achtzehn sein sollte. Doch irgendetwas an der neuen Magd machte Marga stutzig. Waren es die hellen Haarsträhnen, die unter der Haube hervorguckten, oderdie hellen Brauen und Wimpern? Der herbe Mund vielleicht oder

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