Tochter des Ratsherrn
welches ihm zu Wohlstand und Ansehen verholfen hatte, durfte es nun nicht mehr geben. Er musste ab sofort einen anderen Weg finden, um seine Truhen zu füllen. Zwar war er nicht allein mit dieser Sorge – wie ihm erging es auch zahlreichen anderen Hamburger Kaufmannsfamilien –, doch er wurde das Gefühl nicht los, als hätte er ganz allein gegen Johannes verloren. Sein einstiger Feind war wieder da, und er war mächtiger denn je!
Dieses Wissen allein hätte schon ausgereicht, um seine Niedergeschlagenheit zu erklären, doch es gab noch eine andere Sache, die schwer auf ihm lastete. Thiderich war noch nicht aus Plön zurückgekehrt. Seit nunmehr zehn Tagen und Nächten wartete Albert auf die Heimkehr seines Freundes. Nur zu gern hätte er sich etwas anderes eingeredet, doch es beschlich ihn mittlerweile die Angst, dass seinem Freund etwas zugestoßen war. Selbst wenn Graf Gerhard II. Thiderich nicht sofort empfangen hätte und er somit gezwungen gewesen wäre, sich länger als nötig in Plön aufzuhalten, hätte er sicher einen Boten mit einer Nachricht über seinen Verbleib gesandt, wie er es sonst auch immer tat. Alberts letzte Hoffnung war, dass Thiderich noch in Plön weilte, weil er bisher keine Reisegruppe mit wehrhaften Männern gefunden hatte, die Richtung Hamburg ritt und der er sich hätte anschließen können.
Zu der Sorge um seinen Freund kam die Ungewissheit darüber, wie der Rat über Thiderichs Verschwinden in diesen Zeiten denken würde. Schließlich hatte er gehofft, Thiderich würde aus Plön zurück sein, noch bevor der Rat eine Entscheidung traf. Für die Zwischenzeit hatte es kein Handelsverbot gegeben, sodass bis jetzt niemand Anstoß an der Reise seines Partners hatte nehmen können. Doch nun war die Entscheidung gefallen, und Thiderich blieb Hamburg weiter fern. Noch schien sich keiner darüber zu wundern, schließlich reisten Kaufleute häufig, aber bislang wusste ja auch niemand, wohin sein Freund geritten war. Sollte er jedoch weiterhin verschwunden bleiben, so wäre Albert dem Rat eine Erklärung schuldig.
Seit Tagen schon hatte er sich den Kopf darüber zerbrochen, wie er handeln sollte, wenn einträte, was heute eingetreten war. Als Bürger und Ratsmann schuldete er dem Rat Gehorsam und musste sich an dessen Gesetze halten, auf der anderen Seite aber war er Graf Gerhard II. ebenso verpflichtet. Wessen Wort galt mehr?
Albert hörte nicht, wie die Tür zum Kontor geöffnet wurde und sein Sohn eintrat. Erst als dieser nur noch einen Schritt von ihm entfernt war, hob Albert den Kopf. »Godeke. Wie lange stehst du schon da?«
Der Angesprochene antwortete nicht, sondern sagte stattdessen: »Vater, die Gruppe der reisenden Kaufleute, denen sich Thiderich vor zehn Tagen anschließen wollte, ist soeben wieder in Hamburg eingetroffen.«
»Was sagst du da?« Alberts Blick erhellte sich schlagartig. Doch gerade, als er vor Erleichterung aufspringen wollte, bemerkte er den angespannten Ton in Godekes Stimme. Was hatte sein Sohn gesagt – Thiderich wollte sich der Gruppe anschließen?
»Thiderich ist nicht unter ihnen, und er war es auch nicht auf dem Hinweg.«
Albert sank zurück in seinen Sessel und schloss die Augen. In ihm kämpften Ratlosigkeit und Verzweiflung. Mit Daumen und Zeigefinger rieb er sich die schweren Lider und atmete hörbar ein und wieder aus. Dann endlich erhob er sich und begann grimmigen Blickes in seinem Kontor auf und ab zu gehen, wie er es immer tat, wenn er nachdachte. Plötzlich blieb er vor seinem Schreibpult stehen und donnerte die rechte Faust so heftig auf das Holz, dass Bücher, Griffel und Tintenfass einen kleinen Satz machten.
»Dieser verdammte Narr!«, brüllte er aufgebracht. »Er ist alleine geritten, um schneller zu sein. Ich habe es geahnt. Jetzt sind wir tatsächlich in großen Schwierigkeiten.«
»Der Bürgermeister ist da«, flüsterte der stotternde Bursche, der Johann Schinkel seit Kurzem diente. Obwohl der Ratsnotar und Domherr stets gerecht zu ihm war, hatte der gerade mal neunjährige Junge große Angst vor ihm. Das hatte zur Folge, dass Johann Schinkel ihn stets tadelte, weil er so leise und bedächtig sprach, und das wiederum hatte zur Folge, dass der Junge noch mehr Angst vor ihm bekam und noch mehr Zeit brauchte.
»Heilige Mutter Gottes, kannst du nicht wenigstens versuchen lauter zu sprechen, Jacob? Meine Ohren werden auch nicht jünger!«
Jacob stand da wie versteinert. Wie immer, wenn er getadelt wurde, füllten sich seine Augen
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