Tochter des Ratsherrn
Lage überdachte, fiel ihm plötzlich auf, dass sich keiner der Räuber um ihn zu scheren schien. Niemand schaute ihn an oder richtete das Wort an ihn. Er war ihr Gefangener, und dennoch erhielt er weder Schläge noch Häme. Nachdem er eine Weile zu den dreien hinübergeschaut hatte, die an einem wackeligen Holztisch saßen und aßen, fragte er: »Was passiert nun mit mir?«
Johannes war der Erste, der das Wort ergriff. »Nichts.«
Thiderich runzelte die Stirn. »Was soll das heißen, nichts ?«
»Ganz einfach. Du hast deinen Zweck schon erfüllt.«
Nun war er gänzlich verwirrt. Wie konnte er irgendeinen Zweck erfüllen, indem er bloß gefesselt in einer Hütte saß? Gerade als er eine weitere Frage stellen wollte, erhob sich Bodo von seinem Platz. Er wischte sich den Mund an seinem Ärmel ab, rülpste laut und rieb sich den Bauch.
»Es wäre besser, du hältst jetzt die Klappe, Kaufmann. Sonst bekommst du einen Knebel.«
Thiderich schwieg. Einen Knebel im Mund wollte er nicht riskieren.
Wenig später verabschiedete sich Bodo von den Frauen. Wieder hörte Thiderich Millie wiehern. Er wusste genau, dass sie gerade versuchte, sich gegen Bodos harten Griff zu wehren. Was folgte, waren wüste Flüche und Verwünschungen, Hufgetrappel und ein wütendes Schnaufen. Dann hörte Thiderich, wie der Bote knackend einen Stock entzweibrach. Ein Zischen ertönte, dann ein kurzes Klatschen. Zweimal, dreimal. Millie wieherte schrill. Thiderich verspürte einen Kloß im Hals. Er liebte seine eigenwillige Stute, und der Gedanke, dass der erbarmungslose Hüne auf sie einschlug, zerriss ihm fast das Herz.
Seine Kleider waren vom Regen durchnässt, doch Albert achtete gar nicht darauf. Triefend, wie er war, eilte er wortlos zur Tür hinein, lief an Ragnhild vorbei und sogleich die Stiegen hinauf. Im Kontor angekommen ließ er sich schwer auf seinen Sessel fallen. Ragnhild kannte ihren Gemahl nun schon seit so vielen Jahren, dass es zwischen ihnen keiner Worte mehr bedurfte. In weiser Voraussicht, dass er klatschnass sein würde, hatte sie bereits ein Becken mit glimmenden Kohlen im Kontor aufstellen lassen, doch als sie nun mit leisen Schritten eintrat, konnte sie sehen, dass er der wärmenden Glut keinerlei Beachtung schenkte. Er war in sich gekehrt, und so senkte sie den Blick, schenkte ihm schweigend etwas Wein in seinen Becher, verließ lautlos das Kontor und schloss die Türe hinter sich. Sie wusste, dass ihr Mann jetzt allein sein wollte – warum auch immer.
Albert hatte versucht, sich auf die heutige Ratssitzung vorzubereiten. Er hatte nicht überrascht werden wollen und so gar nicht erst gewagt, an die anstehende Entscheidung zu denken. Dennoch, das Ergebnis der Abstimmung traf ihn noch immer hart.
Alle waren sie da gewesen – jedes einzelne Mitglied der Electi, Assumpti und Extramanentes, welche den sitzenden und den alten Rat bildeten. Jeder wichtige Kopf der Stadt. Dann hatte Willekin Aios die entscheidende Frage gestellt und wenig später die für Albert so zerstörerische Antwort bekommen. Nur vierzehn der dreißig Ratsherren waren dafür gewesen, die Geschäfte mit dem Grafenhaus weiterzuführen. Zwei zu wenig!
Zwar war es Albert seit Thiderichs Aufbruch nach Plön mit Leichtigkeit gelungen, Verbündete im Rat gegen die Forderung von Johannes vom Berge zu gewinnen, doch diese Verbündeten gehörten nahezu ausschließlich dem alten, grafenfreundlichen Rat an, den sogenannten Extramanentes. Da der alte Rat aber nur ein Drittel des gesamten Rates ausmachte, hatte Albert bereits geahnt, wie die Wahl ausfallen würde. Auch wenn einige der Electi und Assumpti, wie die Mitglieder des sitzenden Rates genannt wurden, ebenso Gewinn aus der Not der Grafen schlugen und darum genauso für die Geschäfte mit den Grafen hätten stimmen können, scheuten sie davor zurück, sich öffentlich gegen den mächtigen Johannes vom Berge zu stellen.
Und so hatte der Rat heute mit einer Mehrheit von sechzehn Stimmen beschlossen, dass übliche Handelsgeschäfte mit dem Grafenhaus ab sofort verboten seien, da sie die Bindung der Stadt an die Fürsten stärken würden. Weiterhin erlaubt jedoch waren Käufe von gräflichen Renten und Erben, die das Weichbild der Stadt vergrößerten, sowie Erwerbungen von gräflichen Einrichtungen durch den Rat, um den Einfluss der Grafen auf die Stadt zu schmälern.
Albert fühlte sich elend. Er hatte tatsächlich verloren. Sein einstmals so geschickt erdachtes Handelsgeschäft mit dem Grafenhause,
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