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Tochter des Ratsherrn

Tochter des Ratsherrn

Titel: Tochter des Ratsherrn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Tan
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auch jetzt wieder mit Tränen.
    Verzagt stellte Johann Schinkel fest, dass es einfach keinen Sinn hatte, mit dem Jungen zu reden. Er würde ihn zu seinen Eltern zurückschicken müssen. »Nun hör schon auf zu heulen, Junge, und führe den Bürgermeister zu mir.«
    Blitzschnell war Jacob verschwunden.
    Wenn der Bursche doch nur so schnell reden würde, wie er vor mir abhaut, wünschte sich Johann Schinkel nicht zum ersten Mal.
    Gleich darauf trat Willekin Aios ein. »Seid gegrüßt«, sagte er im Gegensatz zu Jacob angenehm laut. »Ich bin froh, dass Ihr so schnell von Eurer Reise zurückgekehrt seid.«
    Mit einer selbstverständlichen Geste bot Johann seinem Gegenüber einen bequemen Sessel an, auf den sich der Bürgermeister sogleich fallen ließ. Beide Männer waren mit diesen Treffen vertraut – fanden sie doch regelmäßig hier in der Verschwiegenheit der Domkurie Johann Schinkels statt.
    Nachdem sich Willekin Aios mit einem fleckigen Taschentuch den Schweiß von der Stirn gewischt hatte, begann er zu sprechen. »Bitte verzeiht, wenn ich sogleich zum Punkt komme, aber es ist von äußerster Wichtigkeit, dass ich erfahre, was Eure Reise ergeben hat.«
    Johann Schinkel brauchte keine weitere Erklärung und antwortete ohne Umschweife. Auch er war ein Mann direkter Worte und schätzte ebendiese Eigenschaft an dem Bürgermeister. »Gerne hätte ich Erfreulicheres zu berichten, aber mein Besuch in Plön war in keiner Weise von Erfolg gekrönt. Graf Gerhard II. ist außer sich ob der Beschuldigungen seines Vetters Johann II., ihn absichtlich durch seinen Hofnarren verletzt zu haben. Jeder Versuch, ihn zu einer erneuten Zusammenkunft zu bewegen oder entsprechende Worte an seinen Vetter zu richten, schienen ihn nur noch mehr zu erregen. Wie mir scheint, bleibt in dieser Sache nur noch ein Weg: Graf Johann II. muss Großmut beweisen und sein Wort zurücknehmen, ansonsten wird es keinen Frieden zwischen ihnen beiden geben.«
    Willekin Aios ließ seinen Hinterkopf schwer gegen die hohe Lehne des Sessels fallen. Seine Befürchtungen waren eingetroffen: Die Grafen standen einander feindlich gegenüber. Es war nun nur noch eine Frage der Zeit, bis die Hamburger die Auswirkungen dieser schwelenden Fehde zu spüren bekamen. Fehden kosteten viel Geld, und dieses Geld beliebten die Grafen sich von den Kaufleuten zu holen. »Wann werdet Ihr nach Kiel zu Graf Johann II. aufbrechen?«
    »In den nächsten Wochen«, sagte Johann Schinkel etwas abwehrend. »Ich denke, es hat wenig Sinn, schon jetzt dort hinzureisen und dem Grafen eine Versöhnung nahezulegen, solange seine Verletzung nicht vollständig verheilt ist. Am Hofe von Gerhard II. ist mir zu Ohren gekommen, welch schlimme Qualen Johann II. derzeit erleidet. Solange dieser Zustand andauert, wird er einer Versöhnung niemals zustimmen.«
    Der Ratsnotar war aufgestanden, während er redete. Zielsicher lief er durch die behagliche Kammer seiner Domkurie. Er liebte dieses Haus. Außer der Kurie des Domprobstes und der des Domdekans war keines der elf Häuser so verschwenderisch eingerichtet wie seins. Es hatte sogar Fenster mit durchsichtigen Butzenscheiben, durch die er einen Teil der Straße vor der Petri-Kirche sehen konnte. Versonnen trat er an das dicke Glas und blickte hindurch, während der Bürgermeister sich in einer lang gezogenen Erwiderung verstrickte. Johann stand häufig vor diesem Fenster und starrte in Gedanken versunken hinaus. Hier hatte er stets seine besten Einfälle.
    Plötzlich erregte etwas draußen seine Aufmerksamkeit. Es waren vier Beginen-Schwestern, die in ihren blauen Kutten und schneeweißen Schleiern über die Wege eilten. Die Sonne ließ ihre Gewänder erstrahlen. Wie immer, wenn er die Blauen Schwestern sah, musste er an Runa denken. Genauso hatte sie in ihrem Gewand vor vielen Jahren ausgesehen – bloß hübscher. Anmutig und schön, und das trotz der unförmigen Kleidung. Es war Sommer gewesen, als sie sich kennengelernt hatten, und darum verging nicht ein sonniger Tag, an dem er sich nicht an ihre gemeinsamen Momente erinnerte. Niemals würde er ihre heimlichen Treffen aus dem Kopf bekommen. Johann hatte nach ihrer Hochzeit alles versucht, um sie zu vergessen, doch heute war er sich sicher, dass ihm das niemals gelingen würde.
    »Ja, hört Ihr mir denn gar nicht zu? Was gibt es denn so Spannendes auf der Straße zu sehen, dass Ihr so abwesend seid?« Der Bürgermeister war aufgestanden und hinter den Ratsnotar getreten. Nun starrte auch er aus

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