Tochter des Ratsherrn
sehr inbrünstige Christin. Sie hatte auch keine wirkliche Erklärung dafür, aber was sie sehr wohl wusste, war, dass es bisher keinem Priester gelungen war, ihr die Kirche näherzubringen. Eher das Gegenteil war der Fall. Aus früheren Erzählungen ihrer Mutter wusste sie von einem Geistlichen namens Vater Lambert, der vor sieben Jahren bei dem großen Brand von Hamburg zu Tode gekommen war. Er hatte Ragnhild aufgrund ihrer dänischen Herkunft gehasst und alles daran gesetzt, sie ins Beginenkloster zu verbannen. Spätestens seit dieser Zeit war sich Runa sicher, dass es besser war, Kirchenmännern eher misstrauisch zu begegnen. Die Tatsache, dass nun einer in ihrem Hause wohnte, verstärkte ihr Unbehagen; sie wusste, es würde nur noch eine Frage der Zeit sein, bis sich Vater Everard ihr widmen würde – gebe Gott, dass sie seinem strengen Blick standhielt!
Es war zwei Wochen vor dem heiligen Osterfeste, als Runa das Schweigen, die Stickereien und die Dunkelheit des Hauses nicht länger ertrug. Beherzt griff sie zu einem hölzernen Eimer, um Wasser aus dem Reichenstraßenfleet zu holen. Es war ihr gleich, dass diese Handlung ihres Standes nicht würdig war. Runa brauchte Bewegung. Sie trat hinaus in die warme Sonne und atmete tief ein. Vogelgezwitscher und das leise Plätschern des Fleetwassers drangen an ihr Ohr. Wie hatte sie diese wohlklingenden Laute vermisst!
Nachdem sie ihren Eimer mit übermäßig langsamen Bewegungen gefüllt hatte, wandte sie sich unwillig in Richtung Haus. Als sie sich umdrehte, wäre sie fast mit Vater Everard zusammengestoßen. Runa erschrak so sehr, dass sie einen kurzen Schrei ausstieß und den Eimer fallen ließ. Polternd rollte das hölzerne Gefäß über den Boden; das Wasser ergoss sich über den festgetretenen Sand und umspülte die Füße des Priesters.
Runa hatte erwartet, dass er erschrocken zurücksprang oder einen erbosten Aufschrei tat, doch er blieb seltsam ruhig.
Ohne seine nassen Füße auch nur eines Blickes zu würdigen, starrte er sie schweigend an. Das Wasser war schon gänzlich versickert, als er endlich den Mund öffnete und mit feierlicher Stimme zitierte: »Denn wir sterben des Todes und sind wie Wasser, das auf die Erde gegossen wird und das man nicht wieder sammeln kann; aber Gott will nicht das Leben wegnehmen, sondern er ist darauf bedacht, dass das Verstoßene nicht auch von ihm verstoßen werde.«
Runa war verunsichert. Sie wusste nicht recht, was sie auf seine biblischen Worte erwidern sollte, darum sagte sie: »Vater Everard, bitte verzeiht dieses Missgeschick. Ich hätte besser achtgeben sollen …«
Noch immer scherte er sich nicht um seine nassen Lederschuhe.
Runa fühlte sich immer unbehaglicher. »Ich … soll ich Euch vielleicht …«
»Welchen Bibelvers habe ich gerade aufgesagt?«, unterbrach der Priester ihren Satz streng und bedachte sie, ohne die Miene zu verziehen, mit seinem stechenden Blick.
Langsam begann Runa, sich vor ihm zu fürchten. »Ich … ich weiß es nicht genau, Vater. Es … es muss das Buch Samuel sein, aber …«
»Es ist das zweite Buch Samuel. Kapitel vierzehn, Vers vierzehn.«
»So wird es sein.«
»Was ist das für eine Antwort, Weib? Bezweifelst du meine Kenntnis der Heiligen Schrift?«
»O nein, Vater. Gewiss nicht.« Runa senkte den Blick. Sie ärgerte sich über ihre unbedachten Worte, doch ihr wollte keine rechte Entschuldigung einfallen. Vergeblich hoffte sie, dass Vater Everard sich zum Gehen wenden würden, doch er blieb weiterhin stehen und blickte prüfend an ihr hinunter.
»Warum verrichtest du niedere Arbeiten, Frau? Gott hat für jeden Menschen einen Platz vorgesehen. Deiner ist nicht der einer Magd. Mit deinem Handeln widersetzt du dich der gottgewollten Ordnung.«
»Bitte verzeiht, Vater. Ich wollte nicht …«
»Dieses eine Mal werde ich dir vergeben. Du bist nur ein Weib und darum voller Verderbtheit. Erleichtere heute noch deine Seele, indem du später bei mir die Beichte ablegst.«
Nach diesen Worten drehte er sich um und ließ Runa allein zurück. Ihr Hals war mit einem Mal wie zugeschnürt. Das Gefühl der Beengtheit, das sie in letzter Zeit beschlichen hatte, wich nun dem Gefühl der Gefangenschaft. Nur mit großer Überwindung konnte sie sich dazu zwingen, ins Innere des Hauses zurückzukehren. Hier, in ihren eigenen Kammern, lauerte nun der Feind, und Runa wusste, dass sie ihm nicht entkommen konnte.
Die Nachricht ging wie ein Lauffeuer durch die Stadt. Die Weitgereisten selbst
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