Tochter des Ratsherrn
hatten dafür gesorgt, indem sie einen Reiter vorweggeschickt hatten, der ihr Kommen ankündigen sollte. Ein jedes Haus in der Reichenstraße war bereits in heller Aufregung; nur das nicht, dessen Bewohner eigentlich am meisten Freude empfinden sollten.
Marga hastete so schnell die Straßen entlang, wie es sich gerade noch für eine Frau geziemte. Als jedoch das Haus ihrer Herrschaft in Sicht kam, gab es für sie kein Halten mehr: Sie raffte ihre Röcke so hoch, dass für einen kurzen Moment ihre nackten Beine zu sehen waren, und stürmte hinein. Wie erwartet fand sie Ragnhild und Margareta im Handarbeitsraum. Atemlos stand sie in der Türe und stützte sich mit beiden Händen am Rahmen ab.
Ragnhild wurde bleich. Gerade wollte sie ihre Magd fragen, ob etwas Schlimmes passiert sei, als sie ein Lächeln auf Margas Gesicht erkannte.
Die Magd wandte sich Margareta zu und nahm ihr aufgeregt die Stickerei aus den Händen. »Ja, was sitzt du denn noch hier herum? Hast du es nicht gehört, meine Liebe?«
Margareta schüttelte verwirrt den Kopf. »Was soll ich gehört haben?«
»Ha, die Spatzen pfeifen es doch schon von den Dächern! Der edle Hereward von Rokesberghe ist aus Nowgorod zurückgekehrt. Er wird jeden Moment in der Stadt eintreffen.«
Ragnhild riss die Augen auf, öffnete den Mund und klatschte dann vergnügt in die Hände. »Nein, ist das wahr? Was für eine Freude! Dein Verlobter ist zurück, mein Kind, Hereward ist endlich da!«
Margareta war einer Ohnmacht nahe. Konnte das sein? War die lange Zeit des Wartens nun tatsächlich vorbei? Noch immer hatte sie kein Wort gesprochen. Dann wurde sie von Marga an den Händen gefasst und auf die Beine gezogen. »Aufwachen, Träumerin! Richte dich her, und zieh dein schönstes Kleid an! Oder willst du deinen zukünftigen Gemahl etwa in einem einfachen Leinenkleid willkommen heißen?«
»Nein, o großer Gott, das will ich gewiss nicht!«
»Dann husch, husch«, scheuchte Ragnhild ihre Stieftochter vor sich her.
Gemeinsam eilten die Frauen in Margaretas Kammer und wählten ein grünes Kleid aus edelster Seide aus, welches besonders schön zu deren feuerroten Haaren passte. Während Ragnhild die vielen Schnüre zuzog, flochten Margas geschickte Hände ein paar kunstvolle Zöpfe. Zum Schluss stach sich Ragnhild in den Finger und verteilte zwei Tröpfchen ihres Blutes auf den blassen Wangen und Lippen ihrer Stieftochter.
Als alles getan war, trat Ragnhild einen Schritt zurück und sagte, gerührt von Margaretas Anblick: »Du bist wunderschön, mein Kind.«
Marga musste sich gar eine Träne wegwischen.
Dann begannen die Frauen zu lachen. Margareta umarmte beide gleichzeitig und rief: »Nun schaut doch nicht so! Ich werde das Haus schließlich nicht heute schon verlassen! Bis zur Hochzeit bleibt doch noch ein wenig Zeit.«
Die Frauen kicherten und scherzten so ausgelassen, dass Albert in seinem Kontor davon hörte. Mit fragendem Blick stand er plötzlich in der Kammer. »Was wird denn hier gefeiert?«
Ragnhild lief zu ihrem Gemahl und warf sich stürmisch an seine Brust. »Albert, du wirst es nicht glauben! Hereward von Rokesberghe ist zurückgekehrt. Er wird sogleich in der Stadt eintreffen. Wir müssen ihn gebührend empfangen. Nun steht einer baldigen Hochzeit unserer Tochter nichts mehr im Wege. Ich bin so glücklich!«
Nur wenig später hatten sich alle Bewohner des Hauses zusammen mit einer Heerschar weiterer Neugieriger aus allen Kirchspielen auf den Weg zum Rathaus gemacht. Die Menschen warteten bereits mit großer Spannung, als der lange Reitertross endlich in Sicht kam. Langsam schob er sich durchs Hopfentor und nahm wegen seiner Länge die gesamte Reichenstraße und den Ness ein. Hereward ritt vornweg.
Sofort brach laute Begeisterung aus. Die Männer fingen an zu jubeln, die Frauen schwangen bunte Bänder und Tücher. Alle reckten die Köpfe, um einen Blick auf die Männer zu erhaschen, welche sich der Stadt so verdient gemacht hatten.
Margareta jedoch hielt sich damenhaft zurück und genoss das wohlige Gefühl in ihrem Bauch. Die Frauen um sie herum waren wie von Sinnen. Sie drängten und stießen einander, um mehr sehen zu können. Es bestand kein Zweifel, dass jede von ihnen bei Herewards Anblick förmlich dahinschmolz. Margareta nahm diesen Moment tief in sich auf. All die Tratschereien, die sie in den letzten Monaten nach ihrer Verlobung hatte ertragen müssen, würden ab heute vergessen sein. Keines der lästerlichen Weiber konnte nunmehr
Weitere Kostenlose Bücher