Tochter des Ratsherrn
behaupten, Hereward kehre nicht nach Hamburg zurück, um einer Ehe mit ihr zu entgehen. Nein, er war sogar früher gekommen, als alle erwartet hatten. Fast so, als wollte er selbst nicht länger warten. Dieser Moment würde sie für all ihr Leiden entschädigen, da war sie sich ganz sicher. Jener Mann, dem die Damen so sehnsüchtig entgegenblickten, wollte sie zur Frau nehmen. Sie – und keine andere!
Als Margareta Ross und Reiter endlich erblickte, schlug ihr Herz so heftig, dass sie meinte, es würde ihr aus der Brust springen. Während seiner langen Abwesenheit hatte sie tatsächlich vergessen, wie gut er aussah.
Hereward trug eine leichte Rüstung aus einem Kettenhemd mit einem Wams darüber, einer locker abgestreiften Kettenhaube und nach hinten geschnürten Kettenbeinlingen. Sein dichtes, lockiges Haar fiel ihm wirr bis auf die breiten Schultern, und wenn er lächelte, entblößte er eine Reihe makelloser weißer Zähne. Er war ein Bildnis von Mann!
Margareta fühlte, wie ihr das Blut in die Wangen schoss. Gleich würde er an ihr vorbeireiten, und dann würden sich alle Augen auf sie richten. Sie wusste, dass jeder der hier Anwesenden gespannt darauf wartete, wie die beiden Verlobten einander begrüßen mochten. Stumm flehte sie alle Heiligen und die Jungfrau Maria an, er möge ihr wenigstens einen liebevollen Blick schenken oder ihr gar zuwinken. O bitte, lass ihn nicht einfach nur mit einem höflichen Nicken an mir vorbeiziehen, schoss es ihr durch den Kopf.
Noch während Margareta überlegte, wie sie ihn auf sich aufmerksam machen konnte, ohne sich unschicklich zu benehmen, hob Hereward seinen starken Arm zum Zeichen, dass der Tross hinter ihm stehen bleiben solle. Augenblicklich ging ein Ruck durch sein Gefolge, dann kam jeder Huf, jedes Wagenrad und jeder Fuß zum Stehen. Alle Münder verstummten; allein die aufgewirbelte Staubwolke schien noch in Bewegung zu sein. In gespannter Erwartung dessen, was nun folgen mochte, hielten die Hamburger den Atem an. Dann blickte Hereward Margareta direkt in die Augen.
Einen kurzen Moment dachte sie, ihre Knie würden ihr Gewicht nicht mehr tragen wollen, und sie stützte sich dankbar auf einen Arm, der sich ihr von hinten anbot. Der Arm gehörte Runa, doch das war Margareta gleich. Sie hatte nur noch Augen für Hereward.
Dieser gab nun ein erneutes Zeichen, auf dass ein Knabe herbeigeeilt kam, der hölzerne Stufen neben sein Ross stellte. Schwungvoll ließ er sich aus dem Sattel gleiten, ohne den Blick von Margareta zu wenden. Würdevoll trat er auf sie zu und blieb nur ungefähr einen Schritt entfernt von ihr stehen. Er musste den Kopf senken, um sie anzublicken, denn Hereward überragte seine Verlobte weit über eine Haupteslänge. Seine Finger griffen in seinen Reiseumhang und zogen ein seidenes Band heraus, das einstmals blau gewesen sein musste. Er hielt es mit seiner großen Faust umschlossen und drückte es an sein Herz. Dann endlich ertönte seine dunkle, wohlklingende Stimme, die den ganzen Platz vor dem Rathaus auszufüllen schien.
»Edle Jungfrau Margareta. Ihr habt lange auf mich warten müssen, aber das hat nun ein Ende. Ihr gabt mir dieses seidene Band am Tage unserer Verlobung, und ich habe es an meinem Herzen getragen, bis ich das ferne Nowgorod erreicht hatte. Auch den langen Heimweg hat es mich stets begleitet und mir Glück beschert. Nun bin ich sicher und wohlbehalten zurückgekehrt – dank Gottes Gnade und dank Eurer Gebete. Nehmt es nun zurück, edle Jungfrau Margareta, zusammen mit einem Kuss von mir«, Hereward führte das Band an seine Lippen und legte es dann in Margaretas zarte Hände. »Auf dass wir uns bald wiedersehen, am Tage unserer Vermählung.« Er verbeugte sich galant und schenkte ihr noch ein letztes Lächeln, bevor er zum Bürgermeister Willekin Aios hinüberging, wo er sogleich von den Ratsherren umringt wurde.
Margareta fühlte sich wie eine Königin. Einen kurzen Moment gab es nur Hereward und sie. Nichts und niemanden nahm sie wahr außer ihm, und sie fühlte sich, als würde sie schweben. Von ebendiesen Augenblicken kündeten die Dichter und Minnesänger. Nie hätte sie sich träumen lassen, dass es so etwas tatsächlich geben konnte. Nie hätte sie geahnt, dass sie selbst einmal Teil eines solchen Zaubers sein würde. Was konnte sich eine Frau mehr wünschen? Trunken vor Glückseligkeit blickte sie auf das schmutzig blaue Band in ihren Händen, während die Frauen um sie herum auf sie einstürmten. Glückwünsche
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