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Tochter des Ratsherrn

Tochter des Ratsherrn

Titel: Tochter des Ratsherrn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Tan
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dieser Augenblick vorbei. Vielleicht wäre es ihnen danach für immer und ewig verwehrt, miteinander zu sprechen. Er fühlte ihre Hand auf seiner Brust, und es war ihm, als brenne sie wie Feuer. Abertausende Male hatte auch er des Nachts wachgelegen. Diese Nächte waren stets erfüllt gewesen von flehentlichen Gebeten, in denen er um nichts anderes bat, als ihr nur noch ein einziges Mal zu begegnen. Am Morgen danach hatte er stets versucht, sich mit Selbstgeißelung von seinen sündigen Gedanken zu befreien, doch keine Peitsche schnitt so tief in sein Fleisch wie die Sehnsucht nach seiner ewigen Liebe. Wehmütig erinnerte er sich immer wieder an ihre gemeinsamen Stunden in dem kleinen, windschiefen Haus, welches es seit dem Feuer nicht mehr gab.
    Johann betrachtete Runa. Sie lag immer noch da. Es war kein Traum. Er wollte sich jede noch so kleine Einzelheit in ihrem Gesicht einprägen, sie unwiderruflich in sich einschließen, damit er sich daran erinnern konnte, wann immer er sich nach ihr verzehrte und wann immer ihn der Kummer überkam. Nur gab es einfach nichts in ihrem Gesicht, was er nicht ohnehin tief in seinem Gedächtnis bewahrte. Noch immer zierten gerade Brauen ihre großen runden Augen, und noch immer waren ihre Lippen voll. Ihr dickes blondes Haar konnte er nicht sehen, es war unter einer Haube verborgen, doch Johann wusste noch genau, wie es sich in seiner Hand angefühlt hatte.
    Ruckartig kam der Wagen zum Stehen. Die beiden Liebenden durchfuhr ein Schauer. Die Fahrt war vorbei, und Runas Hand glitt von Johanns Brust.
    »Wir sind in der Reichenstraße, Herr«, tönte es vom Bock. Der Fahrer sprang herab und öffnete mit einer tiefen Verbeugung die Tür.
    Als Erstes kletterte Johanna hinaus und nahm anschließend Freyja auf den Arm.
    Noch immer hielt der Wagenführer den Schlag auf in der sicheren Erwartung, gleich seinen Herrn und die fremde Frau aussteigen zu sehen. Doch sie kamen nicht.
    Wortlos verweilten sie im Wageninnern. Regungslos. Atemlos. Sie sahen einander an und wussten beide, dass es Zeit wurde, sich zu verabschieden. Zeit zu gehen.
    Leise und mit liebevoller Stimme fragte Johann: »Kannst du aufstehen?«
    Runas Antwort war ein Nicken, doch dessen ungeachtet verweigerten ihre Glieder jede Regung. Sie konnte den Blick nicht von ihm losreißen. Alles in ihr sträubte sich dagegen, dieses Gefährt zu verlassen. Einen winzigen Moment lang überlegte sie, ob sie einfach liegen bleiben und mit Johann davonfahren sollte, doch das war ein törichter Gedanke. Sie musste den Wagen verlassen – und zwar sofort. Nicht mehr lange, und es würden Neugierige aus ihren Häusern treten. Johanna wartete auf sie. Langsam richtete sich Runa auf, und ein letztes Mal formten ihre Lippen das immer gleiche Wort: »Johann!«
    Es war nicht mehr als ein Flüstern, gerade so leise, dass ihr Geliebter es eben noch vernahm, und doch war es nicht leise genug.
    Gleichwohl es nur die Ohren eines Kindes waren, an welche der gehauchte Name drang, sollten die Folgen verheerend sein.
    Gerade als der Ratsnotar Runa aus dem Wagen half, kam Walther aus dem Haus gestürmt. »Runa, was ist passiert?« In seiner Stimme schwangen ehrliche Sorge und Angst um die Frau mit, die er liebte. Erst dann erkannte er, wer sie da stützte: Es war sein heimlicher Rivale und der Grund für fast jede Zwistigkeit in ihrer Ehe. Es war der Mann, den Runa liebte und den sie des Nachts statt seiner in ihr Bett wünschte. Es war der Vater von Thymmo, der Blutfeind von Walther – es war Johann Schinkel.
    Sein Schritt verlangsamte sich. Mit argwöhnischem Blick ging Walther auf den Pferdewagen zu. Wie von selbst spannte sich jeder Muskel in seinem Körper an. Fordernd streckte er seine Hand aus, auf dass der Ratsnotar ihm sein Eheweib übergeben möge.
    Auch Johann straffte seinen Rücken. Eine nicht zu leugnende Anspannung breitete sich zwischen den Männern aus. »Ich grüße Euch, Walther von Sandstedt«, sagte der Ratsnotar formvollendet.
    Mit unverhohlenem Misstrauen entgegnete der Gegrüßte: »Gebt mir die Hand meiner Frau, Ratsnotar.«
    Johann Schinkel tat, was Walther verlangte. Auch wenn es ihm fast das Herz zerriss – es blieb ihm keine Wahl. Runa war schließlich nicht seine Gemahlin. Johann hatte nicht erwartet, dass Walther freundlich zu ihm sein würde. Wenngleich er es nicht mit Gewissheit sagen konnte, war er überzeugt davon, dass Walther von Sandstedt von ihrer einstigen Liebschaft wusste. Wenn Runa es ihm nicht bereits vor der

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