Tochter des Ratsherrn
Hochzeit gestanden hatte, dann würde er es spätestens in der Hochzeitsnacht herausgefunden haben. Ihr Blut war schon unter ihm geflossen – das Laken unter Walther dagegen würde weiß geblieben sein.
Runa löste ihre Hand von dem starken Arm ihres einstigen Geliebten und schritt hinüber zu ihrem Gemahl. Sie drehte sich nicht um – zu groß war ihre Angst, den neugierigen Nachbarn ihre wahren Gefühle für Johann durch einen einzigen Augenaufschlag zu verraten.
Der Anstand gebot es, dass ein Mann der Kirche die so vertrauliche Gegenwart einer Dame erklärte. Mit hölzernen Worten und steinernem Blick sprach der Ratsnotar deshalb: »Die Dame Runa lag reglos auf der Straße. Ich habe mir daher erlaubt, mich um ihr Wohlergehen zu kümmern und sie nach Hause zu geleiten.«
Walther nickte, ohne die Augen von seinem Feind zu nehmen. Gleichzeitig griff er nach Runas Arm und legte die freie Hand um ihre Hüfte, um sie zu stützen. Unverändert kühl sprach Walther die Worte, die der Anstand nun von ihm forderte. »Ich danke Euch, Johann Schinkel. Der Herr wird Euch für Eure Barmherzigkeit belohnen.«
Der Ratsnotar konnte sehen, dass diese Lüge Walther große Überwindung kostete, was sein nächster Satz bestätigte.
»Es bleibt mir nur zu hoffen, dass Ihr mit der Nähe zu meinem Weib nicht das Zölibat gebrochen und Euch somit einer Sünde schuldig gemacht habt.«
Johann verstand diese Anspielung sehr genau. Seine Geduld neigte sich merklich dem Ende, Wut stieg in ihm hoch. Wut darüber, dass er sich verraten hätte, hätte er seinem Gegenüber eine ähnlich spitze Bemerkung entgegengeschleudert; Wut darüber, dass sich der Anblick von Walthers Hand auf Runas Hüfte in sein Gedächtnis einzubrennen drohte. Um dem peinigenden Augenblick zu entfliehen, legte er seine Hand auf die Stelle seiner Brust, an der eben noch die Hand Runas gelegen hatte, und verbeugte sich knapp. »Ich wünsche Eurer Gemahlin eine rasche Genesung.«
Dann wandte er sich ab und zog sich so rasch ins Innere seines Wagens zurück, dass es fast einer Flucht gleichkam. Auf sein Zeichen hin setzte sich das schwere Gefährt ruckelnd in Bewegung. Mit jeder Straße, die er zwischen sich und Runa brachte, wurde Johanns Herz schwerer. Wie sollte es ihm nur gelingen, sie jemals zu vergessen? All die Jahre hatten nichts an seinen Gefühlen geändert. Fast schien es ihm sogar, dass seine Liebe nun, da er Runa noch einmal so nah sein konnte, gar gewachsen war. Er fühlte sich elend. Sein Herz stand in Flammen, doch sein Geist schien zu ertrinken. Flehend fiel er in dem fahrenden Wagen auf die Knie, die Ellenbogen auf die Polsterbank gestützt, auf der eben noch die Frau seines Herzens gelegen hatte, die gefalteten Hände gen Himmel gestreckt. Stumm betete er jene Worte, die er schon so oft in der Vergangenheit gesprochen hatte: »Herr, erlöse mich von dieser Marter. Gib frei mein Herz, auf dass du der einzig Verbliebene darin bist, dem ich meine Liebe schenken möchte.« Wieder und wieder sprach er in Gedanken sein Gebet, erst flüsternd, dann laut flehend und so schnell, dass seine Worte nur noch aus einem einzigen gequälten Ton zu bestehen schienen. Er betete und betete – so lange, bis er meinte, keine Luft mehr zu bekommen. Zornig krallten sich seine eben noch gefalteten Finger tief in das edle Polster, bis es krachend riss. Blind vor Schmerz zerstörte er das kostbare Tuch und presste es an sein Gesicht. Es duftete immer noch nach Runa.
15
Ragnhild hatte sich fest vorgenommen, an diesem Abend mit Albert zu sprechen. Für gewöhnlich ließ sie ihn in Ruhe, wenn er schweigsam war. Sie vertraute darauf, dass er schon zu ihr kommen würde, wenn er reden wollte. Doch dieses Mal war es anders als sonst. Sie spürte, dass etwas wirklich Schlimmes passiert war. Seit Albert vor einer Woche aus dem Rathaus nach Hause gekommen war, hatte er das Kontor nur zum Schlafen verlassen – so konnte es nicht weitergehen.
Auch wenn er derzeit keinen sonderlich großen Appetit zu haben schien, wollte Ragnhild ihn mit seiner Lieblingsspeise überraschen. Vielleicht konnte sie ihn damit aus seinem Kontor herauslocken und ihn in ein Gespräch verwickeln. So machte sie sich mit Marga auf den Weg zu den Fleischschrangen, bevor Runa mit den Kindern vorbeikam, wie es jeden Freitag der Fall war. Sie ahnte nicht, dass allein der Weg dorthin ihr Böses offenbaren sollte. Schon nach wenigen Schritten fiel den Frauen auf, dass etwas anders war als sonst. Zunächst meinten
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