Tochter des Ratsherrn
recht.
Nach schier endlosen Stunden im Regen verließen die Männer endlich den Wald und sahen wenig später die lang ersehnten Dächer Hamburgs vor sich. Als wollte das Wetter sie verhöhnen, riss ausgerechnet jetzt die Wolkendecke auf, die Sonne kam hervor und ließ die nass geregnete Erde glitzern.
Der Tross blieb stehen.
Auf Geheiß von Johannes vom Berge blieb Eccard mit seinen Männern vorerst vor den Stadtmauern zurück und ließ den Kaufmann und seine Wachen alleine weiterziehen. Aus irgendeinem Grund wollte dieser nicht in ritterlicher Begleitung durch die Tore Hamburgs reiten.
Eccard war nicht überrascht. Er vermutete dahinter den falschen Stolz eines eitlen reichen Pfeffersacks, der den Eindruck erwecken wollte, er könne sich allein gegen Wegelagerer verteidigen. Ihm sollte es recht sein, für den Ritter zählte allein, dass er Johannes vom Berge bald los war und sich dann seinem eigentlichen Auftrag widmen konnte.
»Ich habe heute mit Henric Longhe und Olric Amedas sprechen wollen«, sagte Godeke mit einem Seufzen.
»Und?«, fragte Walther drängend.
»Sie haben mich nicht einmal hereingelassen.«
Sein Freund fuhr sich entmutigt durch die Haare. »Genauso ist es mir bei den von Metzendorps, den von Erteneborgs und den von Stendals ergangen.« Seine Stimme klang bedrückt.
Dann war es Albert, der sich zu Wort meldete. »Es ist zwecklos. Sie werden nicht mit euch sprechen. Jedenfalls nicht so lange, wie sie vermuten, dass ihr in meinem Auftrag kommt.«
»Aber wir müssen doch irgendetwas tun, Vater«, stellte Godeke fast schon verzweifelt fest. »Willst du bloß hier in deinem Kontor herumsitzen und abwarten, welche Strafe dich ereilen wird? Was ist mit Mutter? Und mit Runa? Was soll aus ihnen werden, wenn du nach deiner vorläufigen Abberufung endgültig des Rates verwiesen wirst?«
Albert sah seinen Sohn wortlos an. Der Gedanke an Ragnhilds gramverzerrtes Gesicht versetzte ihm einen Stich. Er konnte einfach nicht vergessen, wie er sie vor drei Tagen am Reichenstraßenfleet gefunden hatte, zusammengekauert und mit tränennassen Wangen. Anklagend und verzweifelt zugleich hatte sie ihn angeschaut. Noch immer fühlte er sich schuldig, weil er die Frau, die er liebte, einer derartigen Schmach und Schande ausgesetzt hatte. Er hätte ihr früher von der Entscheidung des Rates erzählen sollen. Ihr Verhalten seither schmerzte ihn.
Sie wollte ihn spüren lassen, wie verletzt sie war. Albert hätte es durchaus verstanden, wenn sie einfach nur zornig auf ihn gewesen wäre und sie gestritten hätten, doch es war viel schlimmer gekommen. Seit diesem Moment am Reichenstraßenfleet hatte sie kein einziges Wort mehr mit ihm gesprochen – bis jetzt!
Das Knarren der Tür ließ die drei Männer aufschauen. Herein kam Ragnhild. Obwohl sie bislang noch niemals eine der Unterredungen der Männer gestört hatte, hatte ihr Verhalten etwas Selbstverständliches. Blass, aber würdevoll und mit aufrechtem Gang schritt sie unter den erstaunten Blicken der Männer herein und setzte sich. Dann begann sie unaufgefordert zu reden. »Bevor ihr etwas sagt, möchte ich sprechen.«
Albert nickte ihr zu. Er war so froh, endlich wieder ihre Stimme zu hören, dass er über ihren ungebetenen Besuch im Kontor hinwegsah.
»Auch wenn ich bloß eine Frau bin, verstehe ich sehr wohl, in welcher Gefahr wir uns befinden. Und obwohl ich wünschte, es wäre anders, bin ich davon überzeugt, dass wir mit dem Schlimmsten rechnen müssen.« Nach diesen Worten schaute sie ihrem Mann direkt in die Augen. Ihr Ton wurde flehentlich. »Albert, du musst die Stadt sofort verlassen – um unseretwillen. Der Rat wird dir den Verrat nicht verzeihen. Vielleicht kommst du sogar in die Fronerei. Das … das überstehe ich nicht.« Ihre Stimme zitterte, doch sie wollte stark sein und schaffte es, nicht zu weinen.
Godeke ging zu ihr und nahm ihre Hand. »Mutter, beruhige dich.«
Walther stand auf und wandte sich seinem Freund zu. »Vielleicht hat sie recht, Albert. Die Ratsmänner sind offensichtlich gegen dich. Sie gehen davon aus, dass du die Grafen stärken wolltest in einer Zeit, da Hamburg sich von ihnen zu entfernen versucht. Man kann ihnen diesen Gedanken nicht verübeln; Thiderich ist schließlich noch immer verschwunden und mit ihm ein gewaltiger Sack voll Münzen. Weitere Geschäfte sind dir verboten worden, und dein Platz im Gehege ist leer. Du hast nichts mehr zu verlieren – außer deiner Freiheit.«
Albert schaute zwischen Walther und
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