Tochter des Ratsherrn
Lübeck dienen müssen – und das ließ der Fürst seinen Gefolgsmann nun spüren. Gern hätte Eccard den Auftrag seines Herrn abgelehnt, doch er war ein gehorsamer Ritter, der sich ergeben den Wünschen seines Grafen beugte und tat, was man von ihm verlangte. Dieser Gehorsam jedoch forderte auch heute wieder all seine Beherrschung. Immer wieder flammte die Wut über die Ungerechtigkeit in ihm auf. Am liebsten hätte Eccard vor Zorn laut geschrien oder sich grundlos mit jemandem geprügelt, doch es gab niemanden, der seinen Ärger verdient hätte. Allein seine eigene Unachtsamkeit war es gewesen, die dem Grafen eine Handhabe gegen ihn gegeben hatte. Hätte er sich nicht im Kampf am Bein verletzt, wäre es vielleicht ein anderer Ritter, der nun durch die Sümpfe der größten Langeweile seines Lebens entgegenritt.
Zu dem Groll, den er über seinen unrühmlichen Auftrag verspürte, kam noch der Ärger über die schlechte Gesellschaft hinzu. Denn neben seinem üblichen Gefolge, bestehend aus seinem Pagen, seinen Knappen und Waffenknechten, seinem Schmied und seiner Dienerschaft, folgte ihm diesmal auch noch der Kaufmann Johannes vom Berge mit seinen Wachen. Ausgerechnet jenen Männern, denen er seine Verletzung und somit auch seinen jüngsten Auftrag zu verdanken hatte, musste er auf dem Weg nach Hamburg Schutz gewähren! Da sie in dieselbe Richtung ritten, hatte es nahegelegen, dass sie sich zu einer großen Gruppe vereinten.
Aber schon nach einem einzigen Tag war Eccard das Versteckspiel leid. Immer wieder musste er sich dazu ermahnen, Obacht zu geben. Schließlich durfte er seine Verletzung nicht aus Versehen durch eine unüberlegte Bewegung verraten, ansonsten hätte er offenbart, dass er an dem Überfall auf den Kaufmann beteiligt gewesen war. Sollte diese Wahrheit ans Licht kommen, wäre es den zahlenmäßig überlegenen Wachen vom Berges ein Leichtes, ihn in der Nacht zu töten. Eccard war sich sicher, dass der Graf ihn mit dieser Reise nicht zuletzt für sein Versagen im Kampf bestrafen wollte. Sein Herr hasste Schwäche und hatte keinerlei Mitleid mit Verwundeten. Misslicher hätte es für Eccard nicht kommen können.
Der Tag schien ebenso ereignislos zu enden, wie er begonnen hatte, als das ewige Stapfen der Pferde und das Rauschen des Regens jäh von aufgebrachten Rufen und schrillem Wiehern durchschnitten wurde. Eccard wendete seinen Hengst, um zu sehen, was der Grund für die Aufregung war, und erkannte die Lage sofort.
Eines der Pferde war vom Weg abgekommen und im Morast stecken geblieben. In Panik versuchte es sich zu befreien – vergeblich. Es war die Stute seines neunjährigen Pagen Jons, der weinend an den Zügeln zerrte. Eccard gab seinem Apfelschimmel die Sporen und galoppierte zum Ende des Gefolges. Als er das verunglückte Tier erreichte, war es bereits bis zum Bauch im Schlamm versunken. Mit jedem Tritt und jeder Bewegung geriet es tiefer hinein. Grob riss er Jons die Zügel aus der Hand und stieß ihn zur Seite. »Los, bring einen langen Stock, und schlag ihn dem Gaul auf den Arsch!«, befahl er rüde.
Der Junge rannte los und war geschwind wieder zurück. Unterdessen hatte ein Mann von Eccards Dienerschaft den Schweif der Stute zu fassen bekommen und zog mit aller Kraft daran, doch noch immer versank diese tiefer und tiefer im Matsch. Es dauerte nicht lange, bis die Kräfte des Tieres erschöpft waren. Weder die Schläge noch das Brüllen und Zerren der Männer zeigten mehr Wirkung. Das Pferd hörte auf zu strampeln und ergab sich seinem Schicksal.
Eccard ließ die Zügel los. Er hatte alles versucht, doch es nützte nichts. Atemlos stützte er sich mit den Händen auf die Knie, was ihm sofort einen heftigen Schmerz an seiner Wunde einbrachte, die er wegen der Aufregung vollkommen vergessen hatte. Als er wieder aufschaute, blickte er in das höhnische Gesicht von Johannes vom Berge, der sich das grausige Schauspiel regungslos von seinem Ross aus angesehen hatte. Keiner seiner Männer hatte auch nur einen einzigen Finger gekrümmt, um das Pferd des Pagen zu retten. Sie waren sich offensichtlich zu fein dafür.
Unbändige Wut stieg in Eccard auf. Auch wenn er als Ritter im Rang weit über dem einer gewöhnlichen Wache stand, unterstanden diese Männer dennoch dem Befehl des reichen Kaufmanns. Er allein konnte ihnen Anweisungen erteilen, aber der Kaufmann dachte gar nicht daran. Gelangweilt schaute er auf das verendende Tier.
»Können wir nun endlich weiter, Ritter?«, fragte Johannes
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