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Tochter des Ratsherrn

Tochter des Ratsherrn

Titel: Tochter des Ratsherrn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Tan
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Schulter von Agnes, die wie aus dem Nichts hinter ihr aufgetaucht war und die Weinende nun tröstend in die Arme schloss.
    In diesem Moment kamen auch Ragnhild, Margareta und Ava herbeigeeilt, um Albert hinterherzublicken – die Gesichter fassungslos, die Hände fest ineinander verschlungen. Und als wäre der Anblick des gedemütigten Kaufmanns inmitten von Bewaffneten nicht schon schlimm genug, begann einer der Umherstehenden auch noch, wüste Verwünschungen auszustoßen. Immer mehr der Umstehenden fielen in seine Hetzrufe mit ein, bis es schließlich aus unzähligen Kehlen tönte:
    »Verräter!«
    »Verschwinde, du Hundsfott!«
    »Gottloser Lügner!«
    »Der Blitz soll dich treffen!«
    Irgendwann warf einer den ersten Stein. Es war ein kleiner Stein und ein halbherziger Wurf, der Albert verfehlte. Doch nachdem der Anfang gemacht war, flogen weitere Steine, größer jetzt, von denen einer Alberts Bein traf, der nächste seinen Arm und viele weitere den Rest seines gefesselten Körpers. Die johlende Menge ruhte nicht eher, bis auf der Stirn des Kaufmanns eine klaffende, blutige Wunde zu sehen war.
    Albert bewahrte Haltung, war das doch das Einzige, was er in diesem Augenblick noch besaß. Aus dem Augenwinkel erkannte er die Männer und Frauen, die noch vor Kurzem an seinem Tisch gespeist hatten; nun ächteten sie ihn wie einen Gesetzlosen. Hätte er sich nicht inmitten gräflicher Bewaffneter befunden, wäre die zornige Meute sicher über ihn hergefallen. Mutlos drehte er sich ein letztes Mal um. Alle Schikanen hätte er ertragen können – der Anblick seiner trauernden Lieben hinter ihm jedoch zerriss Albert fast das Herz. Und so wandte er den Blick von Runa, Ragnhild und Margareta ab und richtete ihn starr nach vorn. Gott allein wusste, ob er sie jemals wiedersehen würde. In Gedanken betete Albert, dass ihr Klagen und Weinen bald verstummen möge, doch es begleitete ihn noch viele Tage lang.
    Auf Agnes’ Geheiß war auch Johanna zu den Frauen geeilt, um zu helfen, die völlig entkräftete Runa zu stützen. Gemeinsam brachten sie sie zurück ins Haus – fort von den hassverzerrten Blicken der Schaulustigen, die ihren Vater soeben noch gepeinigt hatten.
    »Bring sie in ihre Kammer, und hilf ihr beim Entkleiden. Sicher wünscht die Herrin, sich auszuruhen. Danach kommst du zu mir in die Küche«, befahl Agnes der stummen Magd und humpelte davon. Sie wusste, dass es nun an ihr war, sich um die anderen Frauen zu kümmern, die verzweifelt weinend in der Diele des Hauses standen und einander umarmten. Schwere Zeiten würden auf sie alle zukommen, die sie nur überstehen konnten, wenn sie zusammenhielten. Agnes war bereit, alles zu tun, was nötig war, um ihrer Herrschaft zu helfen. So wie Runa und Ragnhild einst ihr beigestanden hatten, als sie verletzt darniederlag, wollte sie nun ihnen helfen.
    Johannes gehorchte und führte die geschwächte Runa in die Schlafkammer der Eheleute. Er hatte sich längst daran gewöhnt, dass Agnes ihm Befehle erteilte. Sie wusste stets, was zu tun war. Auch wenn sie lahm auf den Beinen war, hatte sie kein Problem damit, sich unter ihresgleichen Achtung zu verschaffen und das Haus ihrer Herrschaft in Ordnung zu halten. Das schüchterne Mädchen von damals war verschwunden, geblieben war eine arbeitsame Frau mit starkem Willen.
    Je länger Johannes seine Rolle als Magd spielte, umso schwerer fiel es ihm, sich wieder in die eines Mannes hineinzufinden. Seine Bewegungen und sein Verhalten unterschieden sich längst nicht mehr von dem anderer Mägde, und nur noch selten hatte er Probleme, seine Männlichkeit zu verbergen. Jetzt war einer dieser Momente.
    »Bitte öffne die Schnüre meines Kleides, Johanna. Ich möchte mich ein wenig ausruhen.« Runas Stimme war vom Weinen belegt, doch sie hatte sich wieder etwas gefangen.
    Langsam trat Johannes hinter sie und begann mit zittrigen Fingern die Schnüre am Kleid seiner Schwester zu lösen.
    Reglos stand Runa vor ihm. Die Ereignisse hatten sie zunächst tief erschreckt und dann unendlich traurig gemacht. Jetzt, hier in ihrer Kammer, fühlte sie nichts mehr außer einer großen Leere. Ihre Tränen waren versiegt, sie konnte nicht mehr weinen. Alles, was sie sich nun wünschte, war Ruhe für sich und das ungeborene Kind in ihrem Leib.
    Johannes streifte Runa das schwere Gewand von den zarten Gliedern, bis sie nur noch in ein dünnes Hemd gehüllt war. Die bloße Vorstellung, was sich darunter verbarg, genügte, um ein leichtes Ziehen in seinen

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