Tochter des Ratsherrn
vom Berge herausfordernd.
Um ein Haar wäre Eccard auf den großtuerischen Kaufmann losgestürmt, doch er konnte sich gerade noch beherrschen. Er hasste alle eitlen Pfeffersäcke, aber diesen hasste er ganz besonders!
Jons’ Weinen und Schluchzen wurde immer lauter. Während die Männer einander feindselig anstarrten, versuchte er mit seinen kurzen Ärmchen an die Zügel seines Pferdes zu kommen. »Herr, bitte. Gebt meine Alyss nicht auf. Helft mir, sie herauszuziehen. Ich weiß, sie wird es schaffen«, flehte Jons mit zitternder Stimme um das Leben seiner geliebten Stute.
Eccard sah zu Jons herunter. Dann schaute er auf das Pferd und wieder zu seinem Pagen, der so fest von der Kraft seiner Alyss überzeugt zu sein schien. Jons’ Blicke überzeugten auch den Ritter.
»Was ist nun, Ribe?«, fragte Johannes vom Berge ungeduldig und deutete in den Himmel. »Vielleicht ist es Euch nicht aufgefallen, aber es regnet. Ich würde Hamburg gerne noch erreichen, bevor es Winter wird.«
Das war zu viel für den Ritter. Mit zwei langen Schritten ging er auf seinen hochnäsigen Mitreisenden zu. »Wenn Ihr weiterwollt, Kaufmann, dann sagt Euren Männern, sie sollen mir die beiden kräftigsten Pferde geben und mir helfen, die Stute meines Pagen dort herauszuziehen. Ich werde nicht tatenlos zusehen, wie eine Handvoll meiner Münzen im Morast versinkt.«
Mit diesen Worten hatte Johannes vom Berge nicht gerechnet. In seinem Gesicht spiegelten sich Erstaunen und Entsetzen gleichermaßen wider. Doch eines verstand er ohne Zweifel: Der Ritter meinte, was er sagte, und würde diesen Ort nicht ohne sein Pferd verlassen. Dann endlich – nachdem der Schlamm fast schon den ganzen Rücken von Jons’ Stute bedeckt hatte – nickte Johannes zweien seiner Männer zu. »Ihr beide, steigt ab, und holt endlich den Gaul aus dem Schlamm, sonst wachse ich hier noch fest!«
Die Männer taten, wie ihnen befohlen wurde, und nur wenig später gelang es ihnen tatsächlich, die völlig entkräftete Stute mithilfe ihrer starken Pferde herauszuziehen. Zunächst blieb sie bloß zitternd auf der Seite liegen und atmete stoßweise, doch dann stand sie wieder auf, und der Regen wusch ihr fuchsfarbenes Fell rein.
Jons fiel vor Eccard auf die Knie und drückte seine Stirn vor seinen Füßen in den aufgeweichten Boden. »Danke, Herr, ich danke Euch, danke, dass Ihr mein Pferd gerettet habt. Möge Gott Euch schützen. Ich werde für immer tun, was Ihr von mir verlangt. Danke, Herr …«
Trotz des Ärgers, den Eccard eben noch empfunden hatte, huschte ihm nun ein schmales Lächeln über die Lippen. Es stimmte auch ihn überglücklich, dass das Pferd gerettet war. Wie die meisten Ritter liebte er diese Tiere. Eines auf diese Weise zu verlieren wäre schlimm für ihn gewesen. Er stieß den schlammverschmierten Pagen leicht mit der Stiefelspitze an. »Steh auf, Jons.«
Der Junge hob seinen Kopf und blickte seinen Herrn mit rot geweinten Augen an.
»Es wäre mir Dank genug, wenn du ab jetzt aufpasst, wohin du reitest.«
Der Knabe nickte eifrig.
»Nun geh schon zu deinem Pferd. Du wirst es zur Strafe bis zur Riepenburg führen und nicht mehr aufsteigen. Und sobald wir Hamburg erreicht haben, putzt du alle Pferde so lange, bis sie glänzen wie meine Rüstung. Hast du verstanden?«
Wieder folgte ein Nicken. Dann erhob sich der Junge aus dem Dreck und flitzte zu seiner Stute, der er sogleich um den Hals fiel. Das Pferd war noch viel zu müde, um sich gegen die überraschende Umarmung zu wehren, und ließ sie einfach über sich ergehen.
Ohne ein weiteres Wort stieg Eccard auf seinen Hengst und setzte seinen Weg fort. Auch er hatte keine große Lust dazu, die Gegenwart des Kaufmanns länger als nötig zu ertragen, und wollte Hamburg noch heute erreichen.
Bevor Eccard wieder an die Spitze der Gruppe galoppierte, konnte er aus dem Augenwinkel erkennen, dass sein junger Page wie immer mit tapferem Gesicht und einer geraden Haltung gehorchte und die Stute am Zügel nahm. Für gewöhnlich wäre der Ritter niemals so mild mit einem derart ungeschickten Pagen verfahren, doch Jons war ein besonderer Junge – Eccard mochte ihn sehr.
Er war ein Abkömmling der mächtigen Grafen von Oldenburg und besaß zudem ein unglaubliches Gespür für jedes Tier unter Gottes weitem Himmel. Genau aus diesem Grunde hatte er die im Morast versunkene Alyss eben nicht aufgegeben. Jons hatte behauptet, dass sie es schaffen würde, und wie immer behielt der Junge auch dieses Mal
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