Tochter des Ratsherrn
dass Runa sich von Walther entfernte. Es hatte sie traurig gestimmt, dass ihrer Tochter scheinbar nicht die gleiche Liebe vergönnt war wie ihr und Albert. Doch das allein wäre nicht ungewöhnlich gewesen. Im Gegenteil, die meisten Ehen wurden geschlossen, ohne dass man einander liebte. Niemals jedoch hätte Ragnhild vermutet, dass Runa ihr Herz einem anderen Mann geschenkt hatte, und schon gar nicht, dass sie den Ratsnotar und Domherrn Johann Schinkel liebte, der ihre Liebe offenbar auch noch erwiderte! Walthers Worte waren eindeutig gewesen, und dennoch wollte Ragnhild einfach nicht begreifen, dass das möglich sein konnte.
Was genau hatte er gesagt? Vor sieben Jahren soll es begonnen haben? Johann Schinkel musste Runa also schon geliebt haben, als sie noch eine Begine gewesen war. Unzählige Fragen schwirrten Ragnhild im Kopf herum. Wie lange wusste Walther schon davon, und wann und wo hatte diese Liebe überhaupt stattfinden können? Wusste noch jemand anders davon? Was würde nun passieren?
Ein Laut im Innern der Kammer ließ Ragnhild aufschrecken. Sie wusste, dass sie sich schleunigst zurückziehen sollte. Weder konnte sie ins Schlafgemach der streitenden Eheleute platzen, noch konnte sie ihnen in diesem Moment von Albert erzählen. Es blieb ihr also nichts anderes übrig, als schweren Herzens das Haus ihrer Tochter zu verlassen.
Blass trat sie hinaus auf die Reichenstraße. Ihr Kopf war völlig leer. Sie fühlte sich nicht stark genug, um mit Albert zu sprechen. Es war, als hätten die Ereignisse des Tages ihr alle Kraft geraubt. Sie wollte nur noch alleine sein. Ungesehen betrat sie den Innenhof ihres Kaufmannshauses und ging zum Reichenstraßenfleet am Ende des Grundstücks. Dort kauerte sie sich in eine Ecke an der Wand einer kleinen Scheune und blickte ins Wasser. Hier würde sie so schnell niemand finden, und das war alles, was gerade zählte. Es war ihr gleich, ob es schicklich war, hier auf dem Boden zu hocken, oder ob die teure Seide ihres Kleides schmutzig wurde. Sie war ohnehin keine Ratsherrnfrau mehr, und Seide war nichts als unbedeutender Tand.
16
Jeder Schritt seines Pferdes versetzte Eccards verwundetem Bein einen Stich, der ihn schmerzhaft das Gesicht verziehen ließ. Fast kam es ihm vor, als hebe der wilde Apfelschimmel unter ihm seine Hufe heute besonders hoch. Warum nur musste er als Ritter auch so einen unbequemen Hengst haben? Liebend gern hätte er ihn heute gegen einen der ruhigen Zelter eingetauscht, auf denen die Damen zu reiten pflegten.
Doch war der Wundschmerz nicht der einzige Grund für seine üble Laune. Seit er die Burg in Plön verlassen hatte, war plötzlich das Wetter umgeschlagen. Schönster Sonnenschein war einem nicht enden wollenden Regen gewichen. Es fegte ein regelrechter Sturm über das Land. Dort, wo vor wenigen Tagen noch einigermaßen feste Wege gewesen waren, fand man nun häufig nicht mehr als schlammige Pfade. Jedes noch so kleine Rinnsal war zu einem reißenden Fluss angewachsen. Vor ungefähr einer Stunde hatte Eccard Ribe sich von seinem Knappen die Rüstung abnehmen lassen. Zu groß war die Gefahr, dass sie in ein sumpfiges Gebiet kamen, wo ihm diese zum Verhängnis werden konnte. Ein Einsinken in voller Rüstung hätte seinen sicheren Tod bedeutet. Außerdem war sie bei diesem Wetter ohnehin überflüssig, denn nicht einmal die Wegelagerer, gegen die er sich unter anderen Umständen vielleicht hätte verteidigen müssen, wagten sich heute aus ihren Schlupflöchern.
Der Tross kam nur langsam voran. Wo es die ersten Reiter noch einigermaßen leicht hatten, die Wege zu passieren, steckten am Ende der Gruppe immer wieder einige Pferde fest, die sich nur mit großer Mühe befreien konnten. Gegen Mittag waren einige Tiere so erschöpft, dass eine lange Pause unumgänglich war.
Eccard hatte es gleich geahnt – seine Reise würde mindestens so furchtbar werden wie die Zeit, die darauf folgen sollte. Als Graf Gerhard II. ihm vor vier Tagen seinen Auftrag erteilt hatte, hatte er seinen Ohren zunächst nicht trauen wollen. Er wusste sofort, dass es nicht bloß seine Kampfunfähigkeit war, die den Grafen dazu veranlasst hatte, ihn mit dieser undankbaren Aufgabe zu betrauen. Nein, viel eher war es der Wunsch gewesen, Eccard für den Ärger büßen zu lassen, den sein Vater dem Grafen dieses Jahr beschert hatte.
Hermann Ribe war einer der berüchtigtsten Placker des Landes. Erst kürzlich hatte Gerhard II. als Schlichter in einem Streitfall zwischen ihm und
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