Tochter des Schweigens
Villa werden wir automatisch zur Patronatsfamilie. Jedesmal, wenn wir herkommen, leisten wir eine Art Tribut für unser Gebiet. Manchmal ist es eine Dotation für die Kirche oder das Kloster. Manchmal übernehmen wir die Patenschaft für einen mehr oder weniger begabten Studenten, manchmal bittet man uns, irgendeinen örtlichen Streit zu schlichten – und so was wird es heute auch wieder gewesen sein. Was auch immer die Umstände sind, das Prinzip ist dasselbe: Die Herren zahlen ihren Schutzbefohlenen für das Privileg, überleben zu dürfen. Und die Schutzbefohlenen brauchen die Herren zum Schutz vor einer Demokratie, der sie mißtrauen, und einer Bürokratie, die sie verachten. Es ist ein durchaus vernünftiger Handel.« Er nippte an seinem Wein und fügte hinzu: »Ich bin froh, daß Carlo anfängt, seinen Anteil an diesem Tribut zu leisten.«
Valeria tätschelte lächelnd ihres Vaters Arm.
»Hören Sie nicht auf ihn, Peter, er ist ein niederträchtiger alter Mann.«
Landon zerteilte grinsend einen Pfirsich. Ascolini blickte voller Unschuld:
»Es ist das Vorrecht des Alters, die Jugend zu prüfen. Außerdem setze ich große Hoffnungen in meinen Schwiegersohn. Er ist ein junger Mann von einmaligem Talent und großer Bildung.« Seine klugen jungen Augen musterten Landon über den Rand seines Glases. »Ich hoffe, er hat Sie gut unterhalten.«
»Besser, als ich es verdiene.« Landon war froh über den Wechsel in der Unterhaltung. »Er hat mich gestern nach Arezzo gefahren.«
Ascolini nickte zufrieden.
»Eine prächtige Stadt, mein Freund. Von den Touristen zu Unrecht vernachlässigt. Petrarcas Stadt, und Aretinos.« Er lachte leise auf. »Sie sind doch ein Erforscher der Seele, Landon. Hier haben Sie eine Parabel: Die großen Liebhaber und die großen Wollüstlinge wachsen aus dem gleichen Boden. Der gelehrte Dichter und der Satiriker, der Unanständigkeiten an die Wände öffentlicher Gebäude kritzelt. Die Sonette an Laura und die Sonnetti Lussuriosi. Sie haben sie selbstverständlich gelesen?«
»Petrarca habe ich gelesen«, sagte Landon lächelnd, »aber Aretino wird ja heutzutage nicht mehr gedruckt.«
»Ich werde Ihnen meine Ausgabe leihen.« Ascolini machte eine beredte Handbewegung. »Aretino muß einen Psychiater einfach fesseln. Überhaupt – bedienen Sie sich bitte während Ihres Aufenthalts meiner Bibliothek. Es ist keine großartige Sammlung, aber vielleicht finden Sie doch manches Bemerkenswerte darin.«
»Das ist sehr liebenswürdig. Ich wußte gar nicht, daß Sie Bücher sammeln.«
»Vater ist ein Dutzend Männer in einem«, sagte Valeria.
Wieder lachte Ascolini kurz auf.
»Ich sammle Erfahrungen, Herr Landon, wie ich früher einmal Frauen gesammelt habe, die der Schlüssel zu Erfahrungen sind. Nur bin ich jetzt dafür zu alt. Dafür habe ich Bücher, gelegentlich mal ein Bild, und den Dramen-Ersatz, den die Gerichte bieten.«
»Sie sind ein glücklicher Mann, dottore.«
Ascolini musterte ihn mit hellen ironischen Augen.
»Jugend ist die glücklichste Zeit, mein lieber Landon. Das Beste, was das Alter zu bieten hat, ist die Weisheit, zu schätzen, was geblieben ist: den späten Wein, den Reichtum der Erinnerung, die Reife der Jahreszeit. Ich habe versucht, Carlo zu erklären – und meiner Tochter hier –, daß es besser ist, ein Baum zu sein, der ruhig in der Sonne wächst, als der Affe, der auf der Jagd nach den Früchten darauf herumturnt.«
»Ich frage mich«, sagte Landon scheinbar unschuldig, »ob Sie stets damit zufrieden waren, der Baum zu sein, dottore.«
»Ich wußte, daß ich mich nicht in Ihnen getäuscht habe, mein Freund. Sie haben zu lange mit der Justiz zu tun, um auf die Tricks eines alten Advokaten hereinzufallen. Natürlich war ich nicht damit zufrieden. Je höher die Frucht hing, um so schneller wollte ich klettern. Dennoch ist es so, wie ich gesagt habe. Es ist besser, der Baum zu sein als der Affe. Aber wie bringt man eine alte Wahrheit in einen jungen Kopf?«
»Man versucht es gar nicht«, sagte Landon nicht ohne Schärfe. »Junge Köpfe sind dazu da, gegen Wände zu rennen. Die meisten überleben es.«
Zu seiner Überraschung nickte Ascolini zustimmend und sagte ein wenig bedauernd:
»Sie haben selbstverständlich recht. Ich fürchte, ich habe mich zu sehr in das Leben dieser jungen Leute eingemischt. Sie haben nicht immer Verständnis für die Zuneigung, die ich für sie empfinde.«
»Wofür wir kein Verständnis haben, Vater«, Valerias Stimme war
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