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Tochter des Schweigens

Titel: Tochter des Schweigens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: West Morris L.
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hoch und angespannt, »und was du selber nicht verstehst, ist der Preis, den du dafür forderst.«
    Als sie aufstand, riß sie mit dem weiten Ärmel ihres Kleides ihr Glas um. Das Kristall zersprang auf dem Boden, und der rote Wein floß über die grauen Steine. Landon widmete sich mit besonderem Eifer den Resten seines Pfirsichs, bis der alte Mann ihn mit hinterhältigem Humor herausforderte:
    »Seien Sie doch nicht verlegen, mein Freund. Versuchen Sie bloß nicht, Leuten wie uns den gesitteten Angelsachsen vorzuspielen. So sind wir nun mal. So haben wir tausend Jahre lang gelebt. Wir machen große Bilder aus unseren Lüsten und große Opern aus unseren mörderischsten Tragödien. Sie haben eine Loge bei einem menschlichen Drama. Wenn es uns Spaß macht, unsere Torheiten vorzuführen, dann haben Sie das gute Recht, der Komödie zu applaudieren. Kommen Sie, mein Lieber, lassen Sie mich Ihnen einen Brandy eingießen – und wenn es Ihnen schwer wird, mir zu verzeihen, dann denken Sie daran, daß ich ein Bauer bin, der sich mit Hilfe der Jurisprudenz zum Gentleman gemacht hat –«
    Soviel Charme war nicht zu widerstehen, und Landon konnte nicht anders als wieder lachen. Doch später, als er die übliche Mittagssiesta auf seinem großen florentinischen Bett verbrachte, versuchte er, seine eigene Chronik der Rienzi-Geschichte zu entwerfen.
    Der alte Advokat war ein zu komplexer Charakter, als daß man ihn aus dem einigermaßen naiven Snobismus einer noch immer feudalen Gesellschaft hätte erklären können. Er mochte ein Bauer sein, mit der Schlauheit und dem rücksichtslosen Ehrgeiz eines Bauern, aber er war kein Bettler zu Pferde. Wohl mochte er aus rohem Holz geschnitzt sein, aber er war hart wie Stein und durch den Umgang mit der Welt poliert. Seine Karriere beruhte auf den Torheiten der anderen, und zu unedle Leidenschaften hätten ihn längst zerstört. Landon spürte, daß er mehr Haltung besaß, als Carlo oder Valeria ihm zugestehen wollten.
    Valeria? Auch hier kam er zu anderen Schlüssen als Carlo. Für ihn war sie eine Art unduldsame Prinzessin, halb erwacht zur Liebe und doch noch immer gefangen von der tyrannischen Magie der Kindheit. Für Carlo war selbst in ihren Affären noch Unschuld. Doch wenn man gewöhnt war, neben der Couch des Psychiaters zu sitzen, dann sah man die Frauen mit anderen Augen und erfuhr mitunter schmerzlich, daß Unschuld selten war und oft nur vorgegeben. Gewiß, Valeria brauchte kein lockeres Mädchen zu sein, doch ohne Zweifel neigte sie zu anderen Befriedigungen, als ein junger und selbst nicht sicherer Ehemann ihr zu bieten hatte. Für Landon war sie – die Kinderlose – mütterlich, kühl und doch nicht ohne Leidenschaft, nicht von ihrem Vater beherrscht, sondern wie er aufrechterhalten durch eine innere Reserve, so daß sie weniger brauchte als andere Frauen und viel mehr zu geben vermochte, wenn Stimmung und Augenblick es verlangten.
    Er versank in Grübelei darüber, was wohl eine solche Stimmung und ein solcher Augenblick sein mochten, und fand sich in den Brunnen seiner eigenen Leere starren.
    Alles, was er in diesen Leuten sah, hatte er sein Leben lang zu meiden getrachtet: Ehebruch, Grausamkeit, den Stachel des Fleisches, die Furcht, zu verlieren, was man höchstens vorgeben konnte zu besitzen, die vampirhafte Tyrannei des Alters und die perverse Unterwerfung der Jugend. Er hatte sich selbst ein Ziel gesetzt und war ihm greifbar nahe. Er hatte Frauen genossen, doch nie sich ihnen ergeben. Er hatte die Ethik der Heilkunst bewahrt, während er die Kunst für seine eigene Entwicklung benutzte. Er hatte Geld, Stellung, Zeit. Er war weder einer Frau noch einer Freundin verpflichtet. Er war frei, auch von dem Überschwang und der leidenschaftlichen Unbesonnenheit der anderen. Aber plötzlich waren sie die Reichen und er der Bettler an ihrer Tür. Und er fragte sich, wie es Bettlern ergehen mag, ob sein Magen ein Festessen wohl noch vertragen könnte, wenn es sich ihm plötzlich bot.
    Während die Nachmittagshitze wie Lava über das Land floß, während Bauer und Bürger sich wie Maulwürfe vor der Sonne verkrochen, packte Ninette Lachaise Farben und Leinwand in ihren zerbeulten Wagen und fuhr aufs Land.
    Das Land war heiß wie eine Bratpfanne, die Straßen staubig, die braungebrannten Hügel strahlten das Licht auf das Tiefland wider, wo die Reben welkten, die Rinnsale austrockneten und die Olivenzweige matt in der trägen Luft hingen. Mit glasigen Augen stand das Vieh

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