Tochter des Schweigens
Erinnerung und einer bitteren Sehnsucht nach dem verlorenen Paradies geplagt. Wie oft konnte die Welt zusammenbrechen? Und wem konnte nach dem einmaligen, dem großen Erlebnis noch der Sinn nach Feuerwerk und Vorstadtsex stehen?
Ein Romantiker mochte aus dieser Situation eine Geschichte von tiefer Einsicht und edler Entschlossenheit machen. Aber wie so vieles andere fehlte Landon auch die Gabe dafür. Er wartete einfach, verkrampft und erschöpft, bis er sich allmählich beruhigte und in der Lage fühlte, Ninette gegenüberzutreten.
Sein Herz schlug laut, und seine Hände waren feucht, als er die Treppen hochstieg und an die Tür ihres Ateliers klopfte. Sekunden später lag sie in seinen Armen, voller Besorgnis und Vorwurf.
» Chéri, wo warst du gestern den ganzen Tag? Warum hast du nicht angerufen? Ich habe heute früh ein dutzendmal telefoniert, aber niemand wußte, wo du bist. Wir dürfen uns so was nicht wieder antun. Nie wieder! Versprich es mir.« Dann spürte sie etwas Fremdes an ihm, schob ihn auf Armeslänge von sich und sah ihm ins Gesicht. »Etwas ist geschehen, Peter. Was?«
Die Lüge kam ihm leichter von den Lippen, als er zu hoffen gewagt hatte.
»Nichts ist geschehen. Außer, daß ich mich wie ein Idiot benommen habe. Es tut mir leid. Ich war gestern den ganzen Tag beschäftigt. Abends habe ich dann bei dir angerufen, aber du warst nicht zu Hause. Dann bin ich wütend in die Stadt gegangen. Ich hätte nicht wütend sein dürfen. Verzeihst du mir?«
Er nahm sie in die Arme, um sie zu küssen. Aber sie trat zurück, bleich und kalt wie eine Statue, und ging zum Fenster. Als sie schließlich sprach, klang ihre Stimme müde.
»Das ist genau, was ich gefürchtet habe, Peter. Der Augenblick, in dem das, was wir gewesen sind, das bedroht, was wir sein wollen. Und deswegen wollte ich auch, daß wir warten und unsrer Liebe Zeit zum Wachsen lassen sollen.«
»Willst du das immer noch?« Er hielt sich zurück und bemühte sich, seine Stimme beherrscht und reserviert klingen zu lassen.
»Ja, Peter. Aber nur, wenn du es genauso willst wie ich. Und du darfst mich niemals belügen. Wenn du mir etwas nicht sagen willst, dann behalte es für dich und lüge nicht. Ich verspreche dir, ich werde es auch nicht tun.«
»Sonst noch etwas?«
»Ja. Ich brauche noch Zeit, bis zu meinem endgültigen Entschluß.«
»Wie lange?«
»Bis nach dem Prozeß.«
»Ich hatte gehofft, wir könnten schon vorher fort von hier.«
Sie wandte ihm ihr Gesicht zu, und er sah, daß sie um Haltung ringen mußte. Ihre Antwort war sehr bestimmt. »Nein, Peter. Laß mich nicht wieder von vorn anfangen. Aber ich denke, du weißt jetzt, daß du Carlo etwas schuldest und daß du nicht glücklich sein kannst, bis du deine Schulden bezahlt hast. Ich weiß, ich kann es auch nicht.«
Er wußte keine Entgegnung und stand beschämt und unentschlossen da, bis sie kam, die Arme um ihn legte und ihm die Vorahnung einer Vergebung gab.
Ein Viertel nach zwölf Uhr traf Landon im Continentale ein. Rienzi saß in Hemdsärmeln an seinem mit Büchern und Notizen bedeckten Schreibtisch. Sein Gesicht war grau und seine Augen rotgerändert von Müdigkeit; er hielt sich mit Brandy und schwarzem Kaffee auf den Beinen. Landon war gleichfalls müde, überdies verlegen und alles andere als ausgelassen. Er entschloß sich also zu der gleichen Diät, goß sich eine Tasse Kaffee und ein Glas Brandy ein und streckte sich auf dem Bett aus, während Rienzi redete.
»Wir machen Fortschritte, Peter. Es geht langsam, aber wenigstens in die richtige Richtung. Ich habe in Florenz mit Luigi Albertini gesprochen. Er ist ein unbedeutender Bursche, von der Polizei gründlich verschreckt. Trotzdem hat er, wie du schon vermutet hast, ein bißchen ausgepackt, als ich ihn fragte, warum seine Frau nach vierjähriger Ehe noch Jungfrau sei.« Rienzi grinste und sagte in florentinischem Vorstadtdialekt: »… sie wollte einfach nicht. Sie hat gesagt, es tut ihr weh. Ich hab' sie zum Arzt gebracht, aber der hat auch nichts machen können. Was soll ein Mann mit so einer Frau anfangen …? Aber damit war's auch schon aus. Ich hatte das Gefühl, erhält mit irgendwas hinterm Berg, jedoch keine Zeit, herauszufinden, was es war. Aber ich habe einen Privatdetektiv beauftragt, soviel wie möglich über ihn herauszubekommen.«
»In deinem Telegramm hast du gesagt, du würdest nach San Stefano gehen. Hast du dort irgend etwas Neues erfahren?«
»Fra Bonifazio wollte mich sprechen. Eines
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