Tochter des Schweigens
Mandantinnen hingezogen gefühlt; unter weit ungünstigeren Umständen. Ich war zynisch genug, die Gelegenheiten wahrzunehmen – aber Carlo ist kein Zyniker, und er hungert schon zu lange nach Liebe.«
Landon schüttelte den Kopf und lehnte sich verdrossen zurück.
»Tut mir leid, Doktor. Ich kann Carlo eine Medizin verschreiben – und das habe ich längst getan –, aber ich kann ihn nicht zwingen, sie zu schlucken. Außerdem glaube ich nicht, daß es allzu weit führen kann – das Mädchen ist nicht ganz richtig im Kopf.«
»Und wissen Sie nicht, mein lieber Landon, daß für manche Menschen gerade so etwas gut sein kann?«
»Manchmal.« Landons Ungeduld wuchs. »Aber was, zum Teufel, erwarten Sie von mir? Soll ich ihm eine Vorlesung halten und ihn zu seiner liebenden Gattin Valeria zurückschicken?«
»Es tut mir leid, Landon«, sagte Ascolini würdevoll. »Wir haben Netze für Sie gelegt, und jetzt haben Sie sich genauso darin verfangen wie wir. Eines Tages werden wir das vielleicht wiedergutmachen können, hoffe ich. Aber jetzt haben Sie mir eine Frage gestellt, und hier ist meine Antwort.« Er machte eine kurze Pause und sagte dann mit beinah rührender Schlichtheit: »Sagen Sie Carlo von jemandem, der es wirklich weiß, daß es manchmal klüger ist, sich mit einem kleinen sauren Apfel zu begnügen, als in einem fremden Land hinter einer unbekannten Frucht her zu sein.«
Als Landon ankam, bereitete Ninette gerade das Abendessen vor. Sie begrüßten einander etwas verlegen, dann sagte Ninette:
»Ich habe noch lange mit Valeria gesprochen. Ich verstehe sie, Peter, und sie tut mir leid. Mit einemmal sieht sie sich all ihrer Stützen beraubt – und Ascolini ist schuld. Du weißt, ich habe ihn gern, aber hierbei ist er von einer geradezu brutalen Selbstsucht gewesen – wie übrigens bei vielen anderen Gelegenheiten. Sein ganzes Leben lang hat er versucht, Valerias Zuneigung ganz auf sich zu ziehen. Und jetzt wendet er sich plötzlich von ihr ab. – Weil er Enkelkinder will und weil Carlo anfängt, langsam dem Sohn ähnlich zu werden, den er immer haben wollte. Sie ist ganz verloren, Peter. Verloren, bitter und eifersüchtig. Und daher schlägt sie blindlings um sich – ohne Rücksicht darauf, wen sie trifft.«
»Bevor sie auch noch Carlo trifft, sollte ich es ihm lieber selber sagen, denke ich«, sagte er bedrückt.
»Nein, Peter«, sagte Ninette bestimmt. »Solange auch nur die geringste Chance besteht, daß er es nicht erfährt, sollten wir uns ruhig verhalten. Und nach meiner Unterhaltung mit Valeria rechne ich mit dieser Chance. Wenigstens weiß sie jetzt, daß ich ihr nichts nachtrage – und du ihr auch nicht gram bist.«
»Ich glaube, ich würde mich besser fühlen, wenn ich es Carlo sagen würde.«
»Und er, Peter?«
»Ich weiß nicht.«
Dann stellte sie die Frage, die er schon lange gefürchtet hatte:
»Und wie fühlst du dich jetzt, Peter – was uns beide betrifft?«
»Ich schäme mich – wenn das hilft.«
»Warum schämst du dich, Peter – weil du nicht der Mann bist, für den du dich gehalten hast?«
»Teils. Wir haben alle unseren kleinen Stolz, nicht wahr. Und teils, weil du etwas Besseres verdient hättest.«
»Meinst du das wirklich, Peter? Obwohl du doch über Lazzaro und mich Bescheid weißt?«
»Lazzaro ist vorbei und abgetan. Bei mir war das etwas anderes. Es gibt keine Entschuldigung dafür.«
»Es gibt immer eine Entschuldigung, Peter. Das eben macht mir solche Sorgen. Ich bin nicht vollkommen, weiß Gott. Wenn wir verheiratet wären, würde ich dir wahrscheinlich monatlich zwanzig Entschuldigungen liefern. Aber wenn du Gebrauch davon machen würdest, würde ich dich hassen. So eine Ehe will ich nicht, Peter. Ich will keine Verbindung, die sich unweigerlich zu so etwas Grausamem entwickelt wie dem, das wir in diesen letzten Wochen miterleben mußten. Ich würde dabei sehr rasch zugrunde gehen. Ich bin einfach nicht dafür geschaffen. Ich liebe dich, chérie, aber ich möchte dich glücklich und zufrieden sehen – ich liebe dich so sehr, daß ich dich lieber glücklich gehen als unglücklich bei mir bleiben sehe.«
»Ich liebe dich auch, Ninette – verzweifelter, als ich es je für möglich gehalten hätte.« Er ging auf sie zu, aber sie wich zurück. Langsam und stockend fuhr er fort: »Mein ganzes Leben lang habe ich – aus vielen Gründen – versucht, selbständig und unabhängig zu sein, unempfindlich gegen und unverletzlich durch äußere
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