Tochter des Schweigens
zu entwickeln.
»Carlo hat sich viel, viel besser geschlagen, als ich erwartet habe. Selbstverständlich kann er nicht gewinnen. Der morgige Tag wird gefährlich für ihn. Aber wenn er ihn überlebt, wird er einen beruflichen Triumph errungen haben. Noch vor Ende der Woche werden zwanzig Fälle auf seinem Schreibtisch liegen. Und das wird nur ein kleiner Vorgeschmack dessen sein, was ihn erwartet. Er wird seine erste Schlacht gewonnen und sich als guter Anwalt und unabhängiger Geist bewiesen haben. Aber eine Schlacht ist noch kein Feldzug, und Schwereres steht ihm noch bevor. Auf seine jetzige Aufgabe war er durch Erziehung und Übung vorbereitet. Für weitere, fürchte ich, ist er in keiner Weise gewappnet.«
»Ich habe ihm schon vor Wochen geraten«, sagte Landon ganz offen, »gewinnen kann er nur, wenn er von hier fortgeht. Valeria ist nicht gut zu ihm. Sie wird ihm alles nehmen und nichts geben. Er wird den Rest seines Lebens mit dem Versuch verbringen, sie zu zähmen, und als Greis mit einer Xanthippe enden.«
Dann fügte er bedauernd hinzu: »Es tut mir leid. Ich habe große Achtung vor Ihnen, und sie ist Ihre Tochter. Aber ich kann einfach nicht mehr höflich sein.«
»Sie müssen auch nicht höflich sein«, sagte Ascolini ruhig, »ich weiß, sie ist eifersüchtig auf Sie und Ninette. Und sie will zwischen Ihnen beiden Zwietracht stiften. Aber das haben Sie zum Teil selber verschuldet, weil Sie mit ihr geschlafen haben.«
Schockiert starrte Landon ihn mit offenem Munde an.
»Woher wissen Sie das?«
»Sie hat es mir bereits einen Tag nach Ihrer kleinen Eskapade erzählt.« Er lächelte. »Oh, ich kann mir vorstellen, daß sie Diskretion und Geheimhaltung versprochen hat. Aber Sie hätten auf so was nicht hereinfallen sollen.«
»Ich hätte nicht«, sagte Landon. »Aber ich bin. Warum hat sie es Ihnen erzählt?«
»Es war eine Drohung«, sagte Ascolini leise. »Falls ich mich weiter in ihr Verhältnis mit Lazzaro einmischen sollte, wollte sie es Carlo und Ninette erzählen.«
»Ninette hat sie es heute beim Mittagessen gesagt.«
Ascolini nickte.
»Ich habe so etwas erwartet. Wie hat es Ninette aufgenommen?«
»Besser, als ich's verdient habe«, sagte Landon. »Wie es weitergehen soll, weiß ich allerdings nicht. Wenn Sie es wußten, Doktor, warum sind Sie nicht zu mir gekommen?«
Ascolini zuckte vielsagend die Schultern.
»Ich hielt es für besser, es Ihnen nicht zu sagen. Ich habe, wohl zu Recht, angenommen, Sie würden sich Carlo verpflichtet fühlen und hierbleiben, um ihm zu helfen. Im übrigen«, er lachte spöttisch vor sich hin, »konnte ich es verstehen. Ich habe es selber mit den Töchtern und Frauen anderer Männer so gemacht. Und es machte mir Spaß, einen Mann wie Sie sich ein bißchen winden zu sehen. Ich weiß, Landon, ich schockiere Sie, aber ich habe Ihnen schon vor langer Zeit gesagt, so sind wir nun einmal. Zu meinen Gunsten kann ich nur sagen, daß ich ehrlich genug bin, es zuzugeben. Ich bin kein edler Vater, der seine jungfräuliche Tochter dem Henker ausliefert. Ich habe mit zu vielen Torheiten Nachsicht gehabt, um nicht auch diese kleine hinzunehmen.«
Landon platzte heraus:
»Warum, zum Teufel, haben Sie dann ein derartiges Theater wegen Basilio Lazzaro gemacht?«
Ascolini antwortete gelassen:
»Selbst in einer alten, aufgeklärten und oft korrupten Gesellschaft wie der unseren gibt es Grenzen, die eine Frau nicht überschreiten darf, ohne ihre gesellschaftliche Stellung aufs Spiel zu setzen. Wir amüsieren uns über gewisse Seitensprünge Verheirateter, aber wir haben etwas gegen vulgäre Burschen wie Lazzaro. Diese Affäre mußte aufhören, oder Valeria hätte sich um ihre letzte Rückzugsmöglichkeit gebracht.«
»Glauben Sie, sie hat jetzt noch etwas, worauf sie sich zurückziehen kann?«
»Einen einzigen Menschen – Carlo.«
»Ninette hat dasselbe gesagt. Ich bin nicht sicher, ob das stimmt. Der Weg wird wohl schon versperrt sein.«
»Denken Sie, ich weiß das nicht?« Zum erstenmal lag ein Anflug von Zorn in der Stimme des alten Advokaten. »Warum sonst bringe ich Ihnen wohl soviel Vertrauen entgegen? Ich will mich Ihrer bedienen, Landon. Passen Sie auf. Ich habe Carlo vorhin getroffen und mit ihm und Galuzzi gesprochen. Ich bin alt genug, um zu merken, was zwischen ihm und seiner Mandantin los ist. Sie wissen es genauso gut. Carlo hat eine ausgesprochene Zuneigung für dieses Mädchen. Ich verstehe mich auf so etwas. Auch ich habe mich gelegentlich zu
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