Tochter des Schweigens
zwei Gerichtsdienern auf die Anklagebank geführt wurde. Gleich darauf, als wollten sie jede Erregung im Keim ersticken, betraten der Präsident und die übrigen Mitglieder des Gerichtes den Saal und nahmen ihre Plätze ein. Unter Flüstern und Scharren setzten sich die Zuschauer, und dann senkte sich auf den Schlag des Hammers hin tödliche Stille über den Raum.
Carlo Rienzi erhob sich. Seine Stimme war kühl, klar und unpersönlich:
»Herr Präsident, hohes Gericht! Die Verteidigung möchte noch zwei Zeugen nominieren. Mit Genehmigung des Gerichtes möchte ich jetzt Ignazio Carrese verhören.«
»Bitte.«
Ein kleiner stämmiger Bauer, an die fünfzig Jahre, mit verarbeiteten Händen und einem dunklen sonnverbrannten Gesicht, betrat in gebeugter Haltung den Zeugenstand. Nachdem der Eid verlesen war, murmelte er ein »Ja« und stand mit hängenden Schultern und niedergeschlagenen Augen da.
Rienzi ließ ihn eine Weile so stehen. Dann stellte er sich direkt vor ihn hin und wartete, bis der Bauer den Kopf hob und ihn ängstlich ansah.
»Sagen Sie bitte dem Gericht Ihren Namen.«
»Ignazio Carrese.«
»Wie verdienen Sie Ihren Lebensunterhalt?«
»Ich bin Bauer in San Stefano.«
»Gehört Ihr Land Ihnen?«
»Ja.«
»Hat es Ihnen schon immer gehört?«
»Nein. Ich habe es nach dem Krieg gekauft.«
»Woher hatten Sie das Geld dafür?«
»Belloni hat es mir geliehen.«
»Was für Zinsen hat er dafür verlangt?«
»Gar keine.«
»War er immer so großzügig?«
Carrese schlug die Augen nieder, zögerte und murmelte schließlich:
»Ich – ich weiß nicht. Zu mir war er es. Ich – ich war bei den Partisanen sein Stellvertreter.«
»Wissen Sie, daß Ihre Antwort auf einige meiner Fragen Sie selbst belasten kann?«
Der Zeuge richtete sich auf, als sei er nun entschlossen; einem Schicksal ins Auge zu sehen, dem er lange aus dem Wege gegangen war. Seine Stimme klang fester.
»Ich weiß.«
»Warum haben Sie sich bereit erklärt, hier auszusagen?«
»Ich habe mit Pater Bonifazio gesprochen. Er hat's mir gesagt.« Sein Mund zitterte, und es sah einen Augenblick aus, als müsse er sich setzen.
Rienzi fragte scharf: »Was hat er Ihnen gesagt?«
»Daß es nicht genügt, wenn es mir leid tut. Daß ich es wiedergutmachen müßte.«
»Eine späte Weisheit«, bemerkte Rienzi, »die Sie, wie ich hoffe, dem Gericht empfehlen wird.« Er schwieg einen Augenblick herausfordernd, dann fuhr er fort: »Ignazio Carrese, ich möchte, daß Sie sich zurückerinnern an einen Tag im Jahre neunzehnhundertvierundvierzig. Es war ein Samstag, glaube ich.«
Als könne er sich nun gar nicht schnell genug läutern, stammelte der Zeuge, gelegentlich in seinen Dorfdialekt verfallend, hastig los:
»Das stimmt. Es war ein Samstagabend. Wir waren alle in unserem Versteck in den Bergen. Ich und die anderen. Wir haben auf Belloni gewartet. Wie er ankam, haben wir gleich gesehen, er war ganz verrückt. Er hat so ausgesehen, wie er immer ausgesehen hat, wenn einer ihm was getan hat. Er hat gesagt: ›Jetzt langt's! Niemand haut Belloni ungestraft eine 'runter! Morgen gibt's was zu tun, was Richtiges!‹«
»Hat er Ihnen gesagt, worum es ging?«
»Ja.«
»Was hat er gesagt?«
»Er hat gesagt – er hat gesagt …« Auf der gefurchten Stirn brach Schweiß aus, und er wischte ihn mit einem groben Taschentuch ab.
Rienzi ließ ihm keine Zeit:
»Was hat er gesagt?«
»Er hat gesagt: ›Es geht um dieses Luder, die Moschetti. Ihr Mann ist ein verdammter Faschist, und sie ist nicht besser. Sie muß weg.‹«
Ein Stöhnen kam von der Anklagebank, und alle Blicke richteten sich auf Anna Albertini, die mit geschlossenen Augen und schneeweißem Gesicht auf ihrem Stuhl schwankte.
Rienzis nächste Worte drangen schneidend durch den Saal.
»Nehmen Sie sich zusammen, Anna.«
Ein überraschtes Gemurmel erhob sich, der Präsident sah verblüfft und sichtlich unangenehm berührt auf. Aber die Wirkung der Worte auf Anna Albertini trat augenblicklich ein. Sie öffnete die Augen, setzte sich kerzengerade auf und sagte mit leiser Stimme:
»Es tut mir leid. Es ist schon vorbei.«
Rienzi wandte sich wieder an den Zeugen.
»Belloni sagte: ›Ihr Mann ist ein verdammter Faschist, und sie ist nicht besser.‹ Wußten Sie, was er meinte?«
Der alte Bauer schien wieder zusammenzusinken; er flüsterte nur noch.
»Freilich. Jeder wußte das. Er hatte schon wochenlang versucht, sie ins Bett zu kriegen. Aber sie hat nicht gewollt.«
»Und er war
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