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Tochter des Schweigens

Titel: Tochter des Schweigens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: West Morris L.
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was soll ich zahlen, wie, mein Freund? Welche Buße legt mir unser Beichtvater auf? Ich bin zu alt, um mich selber auf dem Marktplatz auszupeitschen und auf den Knien zur Messe zu kriechen!«
    »Sie sind alt, dottore«, sagte Landon nicht ohne Bosheit. »Und Sie werden bald tot sein. Sie werden dann nichts als Haß und unglückliche Erinnerungen hinterlassen. Ihnen zum Trotz wird Ihre Tochter zur Hure absinken. Und der Mann, der Kinder in Ihr Haus bringen könnte, wird kinderlos sterben, weil ihn keine Liebe eines Besseren belehren kann.« Sein Zorn verflog, rasch, wie er gekommen war, und er wandte sich mit einer Geste der Verzweiflung ab. »Ach verdammt noch mal! Was soll ich dazu noch sagen? Für Sie ist ja doch nichts gut genug, nichts kann Sie dazu bringen, sich um etwas zu bemühen, wofür wir gern alles hingeben würden!«
    In der folgenden anhaltenden Stille war nur das Ticken der Uhr auf dem Kaminsims zu hören. Dann erhob sich Ascolini langsam aus seinem Sessel und ging zwei Schritte auf Landon zu. Mit einer Stimme, deren Brüchigkeit immer noch voller Würde war, sagte er:
    »Also gut, Ländern. Sie haben gewonnen. Der alte Bulle kapituliert. Was soll er jetzt tun?«
    Langsam wandte Landon sich nach ihm um und las in den alten Zügen so viel zunichte gewordenen Stolz, so viel verborgenen Kummer, daß ihn Mitleid überkam. Er zeigte ein blasses, hoffnungsvolles Lächeln.
    »Der erste Schritt ist stets der schwerste. Danach wird es immer einfacher. Ein bißchen Liebe, dottore. Ein bißchen Zärtlichkeit, ein bißchen Mitgefühl, und – vor allem – die Bereitschaft, zu verzeihen. Das bewirkt schon viel.«
    »Glauben Sie, es ist wirklich so leicht?« Ein fast unmerkliches Lächeln lag auf den Lippen des alten Zynikers. »Sie überschätzen mich, Landon. Nun seien Sie so nett und gehen Sie zu Bett. Ein Mann hat das Recht darauf, allein zu sein – vor der letzen Kapitulation!«
    Landon ging auf die Terrasse und zündete sich eine Zigarette an. Der Mond stand jetzt hoch am Himmel, und aus dem Garten hörte er – zum ersten Male – die süßen Klagen der Nachtigallen. Er stand unbeweglich da, gestützt auf die kalte Steinbalustrade, während der lockende Gesang an – und abschwellend durch die Stille drang. Es waren fast geisterhafte Klänge, erfüllt – so schien es ihm – von der Klage verstorbener Liebender, von verlorenen Hoffnungen und entschwundenen Illusionen. Und doch lag Frieden darin – und die Gnade des Vergessens, die die Zeit erweist. Der Mond würde untergehen, die Klänge würden verhallen – doch in wenigen Stunden erweckte die Sonne wieder den Garten zu neuem Leben, und solange man lebte, lebte auch die Hoffnung auf ein Morgen und auf Vollendung.
    Zum ersten Male hatte er seine Wissenschaft und die Erfahrungen, die er gesammelt hatte, praktisch anwenden können – und vielleicht ergab sich daraus auch eine kleine Hoffnung auf die Überwindung seiner eigenen Schwierigkeiten.
    Bei Ascolini hatte er eine Schlacht gewonnen – und eine Schuld abgetragen. Doch das andere lag noch vor ihm, und er war dankbar für die Erholung, die ihm diese Stunde schenkte. Er rauchte seine Zigarette zu Ende und ging langsam nach oben, in Valerias Zimmer.
    Sie lag im Bett; bleich und verschlossen in die Kissen gelehnt. Ninette saß auf dem Bettrand. Landon trat ans Fußende, sah von einer zur anderen und sagte dann leise zu Ninette:
    »Geh du zu Bett, Liebste. Valeria und ich haben noch etwas zu besprechen. Ich komme und sage gute Nacht, bevor ich schlafen gehe.«
    Ninette nickte, aber der leise Unmut in ihrem Blick entging ihm nicht. Sie beugte sich über Valeria und küßte sie, dann küßte sie auch Landon.
    »Komm nicht allzu spät, chéri!« In den leicht hingesprochenen Worten lag eine versteckte Warnung. »Ich warte auf dich.«
    Sie ging, und Landon setzte sich neben das Bett. Valeria Rienzi beobachtete ihn halb neugierig, halb ängstlich. Er sagte mit der beruflichen Beiläufigkeit des Arztes: »Das war ein schlimmer Tag, was?« Ihre Augen füllten sich mit Tränen, aber sie antwortete nicht. Landon sprach vorsichtig weiter und gab acht, jedes unbedachte Wort zu vermeiden:
    »Ich weiß, wie du dich fühlst, Mädchen, ich kann es nachempfinden. Ich weiß, in welcher Situation du dich befindest, weil ich mich viel mit solchen seelischen Verletzungen beschäftigt habe. Heute – vorhin – hast du dem Tod schon ins Auge gesehen – aber im letzten Augenblick bist du ihm ausgewichen. Beim

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