Tochter des Schweigens
Musik war sein Trick, versteht ihr? Sanfte Musik für sanfte Herzen. Nocturnos für verschmähte Liebhaber. Gott! Wenn ihr nur ahntet, wieviel ich mir von diesem Mann erhofft habe! Ich war meines Vaters Geschöpf. Er gab mir alles, und ich war ihm dankbar – aber das einzige, was er mir nicht geben konnte, war mein eigenes Ich. Er konnte das einfach nicht, versteht ihr, und ich wußte nicht, wie ich es mir nehmen sollte – er machte sich zum Partner selbst meiner größten Torheiten. Dabei wollte ich das von Carlo – das, was ihr beide habt und wofür ich euch gehaßt habe: Partnerschaft! Ich wollte ihn in allen Lagen an meiner Seite wissen – er sollte mich hinnehmen und dadurch gleichzeitig frei machen. Aber er wollte das nicht. Nicht Carlo! Er wollte Besitz! Ergebung, Kapitulation! Er wollte mich klein machen und zerstören, bis nichts mehr von mir übrig war. Er war nicht stark genug, es auf die eine Weise zu schaffen, also versuchte er es auf eine andere – durch das müde Lächeln, die melancholische Stimmung, durch Launen und Zärtlichkeit.« Der Wagen schlitterte um eine scharfe Kurve, aber sie redete weiter, ohne auf Ninettes Aufschrei und Landons Protest zu achten. »Ich dachte, heute wäre sein Stolz – oder was immer es sein mag, das ihn treibt – endlich zufriedengestellt und ich könnte als seine Frau zu ihm gehen. Aber er will eine Puppe, mit der er spielen, die er in den Schlaf singen und die er prügeln kann, wenn er sich stark und grausam fühlt. Deswegen hat er sich in diese Anna verguckt – ein armes, leeres, hübsches Kind, mit nichts dahinter außer dem, was er selber hineingelegt hat. Soll er sie doch haben! Ich bin ihn los – ihn und meinen Vater. Ich bin mein eigener Herr, und mir ist es ziemlich gleich, was …«
Sie schrie auf und trat die Bremse durch – eine dunkle Gestalt stieg aus dem Straßengraben und trottete über die Fahrbahn. Auch Ninette schrie und klammerte sich an Landon. Die Räder blockierten, der Wagen geriet ins Schleudern und prallte gegen eine Pappel am Straßenrand. Ein Kotflügel riß ab, aber sie standen; mit dem Kühler in der Richtung, aus der sie gekommen waren. Ninette war starr und atemlos vor Schreck, Valeria lag schluchzend über dem Steuer. Landon fand als erster seine Fassung wieder. Er sagte rau:
»Das genügt für heute. Wir fahren zur Villa zurück!«
Ohne Widerspruch ließ Valeria sich vom Steuerrad wegschieben. Landon setzte sich an ihre Stelle. Während der Rückfahrt bergan schwiegen sie, und als sie die Villa erreichten, sagte Landon zu Ninette:
»Bring sie zu Bett. Bleib bei ihr, bis ich komme. Ich muß mit dem alten Herrn sprechen.«
Ninette wollte widersprechen, doch angesichts seiner offenkundigen Erbitterung sagte sie nichts. Statt dessen nahm sie Valerias Arm, die sich, ergeben wie ein Kind, die Treppe hochführen ließ.
Ascolini saß in der Bibliothek noch genauso in seinem Sessel, wie sie ihn verlassen hatten, und Landon ergriff ohne Gruß und Vorbereitung das Wort.
»Das muß jetzt aufhören, dottore – alles – sofort! Wenn nicht, wird es Tote geben, noch ehe diese Woche zu Ende ist. Vor zehn Minuten sind wir drei mit knapper Not noch mal davongekommen. Valeria ist verzweifelt. Carlo ist ein betrunkenes Wrack. Und Sie sitzen hier und bedauern sich selber, weil der Kassierer endlich gekommen ist und Sie die Rechnung nicht bezahlen wollen. Wenn Sie sich selber kaputtmachen wollen, müssen Sie genauso weitermachen!«
Der alte Mann hob seine weiße Löwenmähne und fixierte Landon mit einem unbestimmten, feindseligen Blick.
»Und was geht das Sie an, Landon? Unser Tod, unsere Schande, unsere Verdammnis – was, zum Teufel, geht Sie das an?«
Landon wurde ernstlich wütend. Er wies mit einem Finger anklagend auf den Alten und rief:
»Ich schulde Ihnen etwas, deshalb geht's mich was an! Ihnen und Carlo und Valeria. Und das ist die einzige Art, wie ich das abtragen kann. Es ist auch meine letzte Chance. Aber es ist genauso Ihre letzte Chance – und das wissen Sie! Mit Ihnen hat es angefangen. Wenn es also überhaupt noch eine Hoffnung gibt, dann liegt sie bei Ihnen. Die Gerichtsvollzieher sind gekommen, mein lieber dottore, und wenn Sie nicht zahlen, dann werden sie Ihnen das Haus über dem Kopf abreißen!«
Er brach ab, goß ein Glas Brandy ein und kippte es hinunter, während der alte Mann ihn mit kalten zornigen Augen anstarrte. Schließlich sagte er, mit einem Anflug seines alten zynischen Humors: »Und
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