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Tochter des Windes - Roman

Tochter des Windes - Roman

Titel: Tochter des Windes - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blanvalet-Verlag <München>
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gerichtet. Ihr Blick hatte etwas Hypnotisches an sich. Weil Hatsue sie nach draußen locken wollte, entfernten sie sich von der Tür, machten einen krummen Rücken und duckten sich neben den Blumentöpfen.
    Â»Ja, dann eben nicht.« Hatsue schloss ungeduldig die Tür. »Was ist bloß mit ihnen los?« murmelte sie.
    Während sich Hatsue mit den Katzen beschäftigte, fiel mir ein seltsames Geräusch auf, das ich zuvor nicht beachtet hatte. Es klang wie ein leises Rascheln, als ob Regen auf trockene Blätter niederfiel. Dabei war der Himmel draußen tiefblau im kalten Beginn des Vorfrühlings. Ich sah Hatsue perplex an.
    Â»Was ist das für ein Geräusch?«
    Â»Welches Geräusch?«

    Ich hob fragend den Finger. Hatsue brach in Lachen aus.
    Â» Gomennasai , ich selbst höre es überhaupt nicht mehr! Das sind meine Seidenraupen. Kommen Sie, ich zeige sie Ihnen!«
    Sie führte uns durch einen Gang in ein kleines Nebengebäude. Wir traten in einen sonnenbeschienen Raum. Ein seltsamer, nicht unangenehmer Geruch hing in der Luft. Hier befanden sich Gestelle mit vielen Reihen von Bambusrahmen, von denen jeder ein kleines Netz, bedeckt mit durchscheinend weißen Seidenraupen, enthielt. Sie nagten pausenlos an den Blättern der Maulbeerbäume und ließen nur die Stängel zurück, die auf Strohmatten fielen und von der Hausherrin gesammelt wurden. Die Futterrückstande kamen in den Kompost, erklärte Hatsue, und wurden als Dünger verwendet. Sie zeigte uns eine Handvoll der weißen Kokons des vergangenen Jahres.
    Â»Ich bin eine der wenigen, die noch Seidenraupen züchtet. Es ist eine Beschäftigung, die viel Sorgfalt verlangt. Genau das Richtige für eine alte Frau. Seidenraupen ertragen nicht ein Staubkörnchen. Man muss sich pausenlos mit ihnen beschäftigen. Als ich in meinem Haus noch Gäste empfing, fanden manche das Rascheln unerträglich. Andere sagten, dass sie noch nie so gut geschlafen hätten.«
    Â»Und Onkel Matsuo?«, fragte Mia.
    Â»Oh, der hat sich schnell an die Seidenraupen gewöhnt. Vielleicht kommt es daher, weil er auf dem linken Ohr etwas schwerhörig ist. Will er nachts die Geräusche nicht hören, legt er sich auf das rechte Ohr … und schläft wie ein Kleinkind! Ich glaube, da kommt er gerade … «, setzte sie lebhaft hinzu. Tatsächlich ging die Haustür auf, wir hörten ein Geräusch im Eingang, und eine Männerstimme rief: » Tadaima   – ich bin zurück«.
    Dr. Matsuo Koga war für einen alten Mann noch erstaunlich groß, fast so groß wie ich. Nur seine etwas krumme
Haltung und sein schlapper Gang auf breiten, knotigen Füßen zeigten, dass er über neunzig war. Sein schütteres Haar war vom Wind zerzaust, und er hatte sehr buschige Augenbrauen. Hinter einer randlosen Brille blinzelten die Augen mit dem etwas verschwommenen Glanz, die alten Pupillen eigen ist. Der Arzt trug eine ausgebeulte Hose und eine Daunenjacke, die schon bessere Tage gekannt hatte. Er entschuldigte sich, dass er nicht an die Fähre gekommen war, um uns zu empfangen.
    Â»Ich wurde in die Krankenstation gerufen. Beim Erdbeben heute Nacht ist Emiko-San«  – er nannte den Namen der Patientin  – »vor Schreck die Treppe heruntergefallen. Sie hat sich dabei den Ellbogen gebrochen. Ein ziemlich komplizierter Bruch leider …«
    Er stockte, den Blick auf die Katzen gerichtet.
    Â»Was habt ihr denn nur?«
    Er hatte sich gesetzt und war im Begriff, die Schnürbänder seiner Schuhe aufzuknoten. Doch die Katzen strichen um seine Beine, sprangen leicht an ihm hoch und krallten sich an seiner Hose fest, als ob sie ihm den Zugang ins Wohnzimmer verwehren wollten.
    Â»Ja, würdet ihr mich bitte vorbeilassen?«
    Beide Katzen hüpften nervös an ihm hoch, stupsten ihn mit der Stirn an.
    Â»Ach, ihr wollt raus?«
    Onkel machte die Tür weit auf. Die Katzen blickten ihn erwartungsvoll an, wichen dann zurück und verkrochen sich unter der Sitzbank.
    Â»Sie wissen nicht, was sie wollen«, rief Hatsue, die den Tee brachte. »Wahrscheinlich ist es ihnen zu kalt.«
    Â»Heute benehmen sich alle Katzen seltsam«, sagte Matsuo. »Sie haben ganz feine Sinne. Vielleicht spüren sie kleine Nachbeben.«

    Er stellte die Schuhe in ein Regal, streifte seine Pantoffeln über. Die Katzen blickten die Schuhe an und maunzten und

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