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Tochter des Windes - Roman

Tochter des Windes - Roman

Titel: Tochter des Windes - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blanvalet-Verlag <München>
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sagte ich, dass ich darüber nachgedacht hatte. Sie hob die Brauen.
    Â»Und?«
    Ich schüttelte den Kopf.
    Â»Die Miete ist günstig. Und ich habe ja noch ein paar Möbel von dir.«

    Â»Echt Biedermeier«, sagte sie vorwurfsvoll. »Und denk daran, dass dein Vater an dem Schreibtisch gesessen hat. Und sein Notenpult hast du auch noch.«
    Ich beruhigte sie mit der Erklärung, dass ich, bevor ich den Anker auf Nimmerwiedersehen löste, den sprichwörtlichen Hafen noch nicht ganz verlassen wollte. Ich nannte es meinen schnöden Selbsterhaltungstrieb. Mutter fand das klug.
    Â»Liebesimpulse erodieren mit der Zeit. Und wer weiß, ob du das japanische Essen verträgst.«
    Â»Ich mag Sushi«, erwiderte ich einfältig.
    Â»An Sushi isst man sich leid. An Aprikosentorte nicht.«
    Mutter schob mir zweites Stück auf den Teller. Danach war die Sache erledigt, und wir sprachen von Tanja und der bevorstehenden Scheidung.
    In den nächsten Tagen brachte ich meine Sachen in Ordnung. Da ich es gewohnt war, in der Wohnung alles gut übersichtlich zu halten, ging es schnell. Ich ordnete Dokumente, sah Briefe und Fotos durch. Viel Kram lag nicht herum, und das Aufkommen des digitalen Fotozeitalters sowie des Internets machten vieles leichter. Am Schluss blieb von Tanja nur wenig übrig. Inzwischen bekam ich auch Antwort vom Rektorat: Man bedauerte mein Fortgehen sehr. Mein Gehalt wurde mir bis Oktober gezahlt, und meine Stelle war bereits neu ausgeschrieben. Ich sah mich wie in einem Film. Der Film hieß: »Der fröhliche Abschied.« Es kostete Mühe, ihn zu verstehen, wenn man den Anfang verpasst hatte.
    Mia. Ich gab die Aufnahmen von ihr in den Computer ein, betrachtete sie immer wieder mit Entzücken. Auf den Bildern schien sie sehr zierlich, ihr dunkles Haar wehte im Wind, die helle Haut war leicht gebräunt. Sie lächelte fast immer. Es war wie eine Verheißung, obwohl das Lächeln vielleicht nur ihrer guten japanischen Erziehung entsprach. Der kitschige Ausdruck »Das Land des Lächelns« kam mir
in den Sinn, Franz Lehár, die Operette, bis mir einfiel, dass damit eigentlich China gemeint war. Mit Mia hatte das alles nichts zu tun. Vergrößerte ich die Aufnahmen auf dem Bildschirm, zoomte ich Mias Gesicht heran, sah ich deutlich die gerade Nase, den großzügigen Mund, das etwas maskuline Kinn. Sie strahlte Ruhe und Selbstbewusstsein aus, obwohl sie  – zur gleichen Zeit wie ich  – in Scheidung stand. War es schlimm für sie? Davon hatte sie nichts gesagt, aber ich hatte so meine Vermutungen. In der Nacht verfolgte ich meine Gedankenbahnen, hörte Mias glockenklare Stimme, fühlte ihren Körper in fiebrigen Fantasien, und erwachte jedes Mal mit einer unpassenden Erektion. Mia deprimierte mich, einfach weil sie nicht da war. Natürlich tauschten wir Mails. Jeden Morgen fand ich ein paar Sätze von ihr vor, die mir stets recht unverbindlich vorkamen. Ich versuchte, sie in ihrer Sparsamkeit des Mail-Verkehrs nachzuahmen. Sie brachte mich in Verwirrung, so undurchsichtig war sie, gewährte mir nur einen spröden Zugang zu ihren Gedanken. In Prag hatte ich sie niemals als fremd empfunden, doch nun überlegte ich mir: Würde ich sie, wenn ich zu ihr nach Tokio kam, endlich durchschauen können, würde ich den ganzen Umriss ihrer Seele erkennen? So weit dachte ich, bis mir auffiel, dass meine eigenen E-Mails ebenso unverbindlich und unterkühlt sein mochten. Ich war  – bildlich gesprochen  – zum Eisschrank geworden: äußerlich glatt und ebenmäßig, innen eine Überfülle von Wunschträumen und bohrend lebendigen Sehnsüchten. Meine Gefühle zu Mia gehörten einer zarten Realität an, zerbrechlich und schwer zu fassen, und gerade in ihrer Zartheit stark. Ich war immerhin dabei, mein Leben über den Haufen zu werfen, mich einer Art von Re-Vision zu stellen, einer nachträglichen Umsetzung eines längst geschriebenen Textes, der mir inzwischen fade und langweilig vorkam. Giotto. Fra Angelico, ja sogar Caravaggio,
ach Gott, wie satt ich sie alle hatte! Ich war ein Mensch, der sich sein Leben bequem eingerichtet hatte und der eigentlich noch viel zu jung dazu war. Meine Bequemlichkeit hatte sich mit Tanja davongemacht  – ich hätte ihr eigentlich dankbar sein müssen. Idealistische Impulse verblassen mit der Zeit. Ich war zum Egoisten

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