Tochter des Windes - Roman
funktioniert das bei uns.«
Klar, dachte ich, dass sie das alles nicht aufgeben wollte, um zu mir nach Hamburg zu ziehen. Ich verstand sie jetzt besser. Ich hätte das womöglich auch nicht getan.
Inzwischen erklärte mir Mia, dass der kreative Kopf Isao sei, während sie selbst für das Geschäftliche und Administrative verantwortlich war.
»Mit anderen Worten, sie meckert nur herum!«, sagte Isao, gespielt beleidigt. Sie lachte, gab ihm einen Klaps auf das Knie. Zu mir sagte sie: »Ich muss Isao zügeln. Sonst fallen ihm die verrücktesten Sachen ein. Jetzt gerade hat er ein Gebäude mit acht Stockwerken in Form des Kokons einer Seidenraupe entwickelt. Hirnverbrannter geht es nicht mehr!«
»In Form eines Kokons?«, fragte ich, ohne mir darunter etwas vorstellen zu können.
»Wieso hirnverbrannt?«, sagte Isao. »Die Idee war naheliegend. Der Auftrag kam ja von einem Seidenhersteller. Die
Firma webt Stoffe für Kimonos und für die Haute Couture. Seit Kurzem wird die Seide auch in der Kosmetikbranche verwendet.«
»Folglich«, sagte Mia, »wollte Isao mit Schichten von Glas an der Fassade und besonderen Riffelungen die Struktur des Kokons darstellen.«
Isao lehnte sich grinsend zurück.
»Na gut, ich weià schon, es war gewagt.«
»Alle sagten, das geht doch nicht«, erzählte Mia. »Ich habe das Projekt auf seine Machbarkeit untersucht, habe Simulationen eingeleitet, statische Berechnungen geprüft. Gemeinsam fanden wir dann eine Lösung.«
»Zugeständnisse muss man schon machen«, warf Isao ein. »Ich reduzierte Details, und jetzt steht mein âºKokonâ¹ in Omote Sando und macht Furore. Willst du Fotos sehen?«
Er brachte mir den Ordner. Das Hochhaus war verblüffend. Der geheimnisvolle, transparente Eindruck entstand durch die gerippte Glasoberfläche, die eine undurchsichtige helle Form zu umgeben schien.
»Keine Sorge«, sagte Mia, »das Gebäude ist absolut robust und erdbebensicher, da sind die Vorschriften strikt.«
Isao betrachtete die Fotos und lachte vor sich hin, als staunte er selbst über das, was er geschaffen hatte. Er hatte groÃe Pupillen, tiefschwarz, und der Augapfel schimmerte bläulich. Sein Blick zeugte von intensiver Konzentrationsfähigkeit. Dennoch war etwas von Wegschauen darin. Mia hatte auch diese Augen, die alles ganz genau wahrnahmen und zugleich doch in die Weite schweiften.
Wir unterhielten uns eine Weile. Was beide über ihre Arbeit sagten, fesselte mich ungemein. Sie sahen die Häuser als eine Art Verlängerung des menschlichen Körpers. Da war nicht nur das Verlangen nach Bequemlichkeit; für jeden Menschen sollte der Wohnbereich ein Hort der Ruhe sein,
an dem er seine Lebenskräfte erneuerte. Ihre Ãberlegungen klangen dabei nicht im Geringsten abgehoben, sondern konzeptuell durchdacht. Beide waren kreative Freigeister, wirklichkeitsnahe Träumer. Das imponierte mir, war ich doch selbst nur zögernd und zagend in der Lage, mein Leben in den Griff zu bekommen. Das würde sich vielleicht hier ändern. Ich spürte ein zunehmendes Begeistertsein, ein freudiges Fantasieren, wie es ein Kind spüren mochte. Ja, hier war nichts Kleinkariertes. Hier waren Talent und Visionen. Vielleicht war ich doch in das richtige Land gekommen.
Zum Lunch blieb kaum noch Zeit, weil wir ja den Termin bei der Tante hatten. Mia hatte alles organisiert: Ein Mitarbeiter deckte akkurat den Tisch, brachte Sandwiches aus dem Restaurant um die Ecke. Die luftigen WeiÃbrotschnitten mit Hühnerfleisch, Mayonnaise und Salat dufteten nach Zitrone und zergingen im Mund. Dazu tranken wir Kaffee aus der Kaffeemaschine. Danach machten Mia und ich uns auf den Weg. Diesmal saÃen wir eine gute halbe Stunde in der U-Bahn und sprachen von Tante Azai.
»Sie schläft fast den ganzen Tag«, sagte Mia. »Ich denke, dass sie sich auf diese Weise regeneriert. Alte Leute schlafen viel, ne? Und Tante Azai ist eben uralt.«
»Ist sie bei guter Gesundheit?«, fragte ich.
»Der Arzt sagt, sie sei ein Phänomen. AuÃer ihren Gleichgewichtsstörungen hat sie nichts. Ein Wehwehchen hier, ein Wehwehchen da, das warâs schon. Ich kann mich nicht entsinnen, dass sie jemals ernstlich krank gewesen wäre.«
»Hast du ihr von mir erzählt?«
»Doch. Sie hat es nicht durchblicken lassen, aber sie ist sehr neugierig auf dich. Wir dürfen sie
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