Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tochter des Windes - Roman

Tochter des Windes - Roman

Titel: Tochter des Windes - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blanvalet-Verlag <München>
Vom Netzwerk:
sie wieder die Hände verschränkte. Mia gab mir ein Zeichen: Ich sollte ihr doch mein Geschenk überreichen. Im Zeitlupentempo nahm die alte Dame die Printen in Empfang, die in Geschenkpapier eingewickelt und mit einem golddurchwirkten Faden verschnürt waren. Wieder ein huldvolles Nicken mit dem Kopf. Mir war, als ob ich einer Gottheit eine Opfergabe überreichte auf die Gefahr hin, dass mich in nächster Sekunde ein Blitz zerschmetterte. Dann stellte die alte Dame das Geschenk neben sich auf die Tatamimatte. Ich konnte aus ihren Zügen nichts entnehmen, außer vielleicht, dass der Ausdruck nicht unfreundlich war. Inzwischen ließ Mia ihre Pantoffeln von den Füssen gleiten und kniete vertraulich neben der alten Dame. Tante Azai sah Mia von der Seite an, als ob sie sagen wollte: Rück mir bloß nicht auf die Pelle! Währenddessen stand ich stocksteif und unschlüssig da. Musste ich jetzt auch knien? Das war höchst unangenehm, ich hatte noch nicht geübt. Aber Mia bedeutete mit einer kleinen Geste, dass ich mich setzen konnte. Umständlich ließ ich mich auf einen der kleinen Stühle nieder. Wie ein großer Vogel musste ich aussehen, mit dem Kopf, der hinter meinen Knien aufragte. Absolut unbequem und ohne die geringste Würde. Mia nickte mir zu, begann zu reden. Nach wie vor saß Tante Azai, die Hände im Schoß verschränkt, vollkommen still. Hörte sie eigentlich zu? Alte Menschen sind oft schwerhörig. Ich hatte das dumpfe Gefühl, dass Mia sozusagen ins Leere sprach. Dann und wann warf mir die Tante einen Blick zu; sie betrachtete mich zwar interessiert und abschätzend, gleichzeitig aber auch ganz neutral. Ob sie mich überhaupt richtig wahrnahm? Inzwischen kam eine junge Pflegerin, verneigte sich und brachte grünen Tee, bevor sie
sich in stiller Freundlichkeit wieder verzog. Mia sprach weiter, und ich spürte allmählich, wie mich der Monolog einlullte. Ich stand ja noch unter Jetlag. Die Augen fielen mir zu, ich zwinkerte ein paarmal kräftig, weil ich um Himmels willen nicht einschlafen wollte. Doch mein Kopf wurde schwer und schwerer, das helle Licht blendete mich, und es war wirklich eine Wohltat, für ein paar Sekunden die Augen zu schließen.
    Ein gewaltiges Krachen ließ mich zusammenfahren. Ich schreckte auf und fand mich auf dem Boden sitzend vor. Ich war eingeschlafen und seitwärts vom Stuhl gekippt.
    Â»Oooh!«, hörte ich Mia leise ausrufen.
    Mit brennendem Gesicht und schmerzendem Hüftknochen stotterte ich eine Entschuldigung, zog mich umständlich an meinem Kindergartenstuhl wieder hoch. Die Tante rührte sich keinen Finger breit, sah mich unverhohlen an. Oh Gott, dachte ich schreckerfüllt, als ganz unvermittelt eine Art von vergnügtem Grinsen über ihr Gesicht flog. Sie ließ ein seltsames Glucksen hören. Ich traute meinen Ohren nicht. Hatte die alte Dame gelacht? Ihre Hand, die sie bislang im Schoß gehalten hatte, bewegte sich jetzt. Sie hob die Teeschale und setzte sie an die Lippen. Aus lauter Verlegenheit tat ich das Gleiche. Die Schale schlug mit klirrendem Geräusch an meine Zähne. Ich wusste nicht, wo ich mich verkriechen konnte. Inzwischen stellte Tante Azai die Schale wieder hin, hob meine Visitenkarte auf und hielt sie mit gestreckten Armen vor sich. Sie war natürlich weitsichtig, brauchte offenbar eine Brille zum Lesen, denn sie kniff die Augen zusammen und studierte lange die Schrift, bevor sie unvermittelt zu sprechen begann. Zum ersten Mal hörte ich ihre Stimme, und die überraschte mich fast noch mehr als alles andere. Alte Leute haben eine raue Stimme; diese Stimme aber war eine Mischung aus Flüstern und Krächzen, die mir unter die Haut ging. Und dazu begann
sie jetzt, mich auszufragen, Fragen über Fragen, mit dieser Stimme, die in der Stille rasselte, als ob sie mir jedes Mal eine Handvoll Kiesel vor die Füße warf.
    Â»Wie spricht man Ihren Namen genau aus, bitte?«
    Mia übersetzte die Frage. Ich gab Antwort, wobei ich jede Silbe betonte.
    Â»Ah so«, brummelte die Tante. »Lainer Steckboln …«
    Â»Nein, nein!«, widersprach ich beherzt. »Rainer Steckborn.«
    Sie hielt es nicht für notwendig, den Namen ein zweites Mal auszusprechen.
    Â»Und was bedeutet dieser Name, bitte?«
    Mia übersetzte, ich antwortete. Und wurde bei jeder Antwort lediglich mit einem Knurren bedacht.
    Â» So desu . Knurr! Wie alt sind

Weitere Kostenlose Bücher