Tochter des Windes - Roman
ich. »Und wie gemacht für Leute, die Angst vor Botox haben.«
Sie lachte.
»Etwas protzig, ne?«
Ich fragte sie, wozu sie denn bitte so viel arbeitete und Ãberstunden machte, wenn sie sich nicht einmal eine schicke Wohnung gönnen sollte.
Sie zog eine kleine Grimasse.
»Bescheiden, bescheiden, nichts zu machen. So war das bei uns in der Familie. Man wollte nicht auffallen, das war genetisch bedingt.«
»Wieso genetisch?«
»Eine Sache der Tarnung«, meinte sie. »Aber Isao und ich schlagen aus der Reihe. Dazu kommt mein Ordnungsfimmel. Ich will die Dinge permanent unter Kontrolle haben. Darum koche ich auch nicht. Rühre ich eine SoÃe an, wird die Pfanne schmutzig. Und sie glänzt doch so schön, solange sie neu ist.«
»Wir haben alle unsere Neurosen.«
Ein gläserner Balkon verlief rund um die Wohnung. Mia öffnete die Schiebetür. Wir traten nach drauÃen. Das Motorboot hing in gewaltiger Höhe über dem Meer, das ganz nahe war, eine dunkelblaue Fläche, mit leichten Schaumkronen. GröÃere und kleinere Schiffe glitten vorbei wie Spielzeuge.
Die Luft war scharf und schmeckte nach Salz. Ich spürte eine leichte Gänsehaut und verschränkte fröstelnd die Arme.
»Abends wird es schnell kühl«, sagte Mia, die auch nur ein dünnes T-Shirt anhatte.
Wir traten wieder nach innen.
»Kaffee?«, fragte Mia.
»Ja, gerne.«
Die Gänsehaut war mir geblieben, ein klammer Hauch auf beiden Armen. Mia stellte die Kaffeemaschine an, ein Knopfdruck nur, setzte Baumkuchen auf den niedrigen Tisch. Baumkuchen gibt es nur in Deutschland, hatte ich bisher gedacht. Ich irrte mich, es gab ihn auch in Japan. Ich blickte konzentriert umher. Viel Harmonie sah ich in dieser Wohnung, und auch eine Art gut gehütete Einsamkeit. Und die nächste Frage, die ich stellte, war sehr spontan und gar nicht so absurd, wie ich sie eigentlich empfand.
»Du hast was hinter dir. Ich auch. Aber könntest du dir vorstellen, mal mit mir zusammenzuleben?«
Sie sah mich überrascht an.
»In dieser Wohnung?«
»Es muss nicht unbedingt sein«, sagte ich leichthin.
Sie brachte die gefüllten Tassen, Zucker, Milch, setzte sich neben mich und antwortete mit groÃer Offenheit und Wärme.
»Ich weià es nicht, Rainer. Wie könnte ich es wissen? Es ist noch zu früh. Ich habe vier Jahre lang mit einem Mann gelebt, und am Ende war es nur noch ein Horrortrip. Ein Mann, der mir von morgens bis abends auf die FüÃe trampelt  â sorry, das ertrage ich einfach nicht. Als Teenager hat mich das gestört, sehr sogar. Ich fühlte mich so anders. Am Ende aber habe ich mich damit abgefunden. Vielleicht bin ich gefühlskalt?«
Was sie gesagt hatte, klang wenig ermutigend. Trotzdem
erwiderte ich: »Deine Diagnose ist falsch. Du bist sehr sachlich und willst nicht, dass jemand dein Leben durcheinander bringt. Was du brauchst, ist ein Rückzugsgebiet. Hier oben fühlst du dich sicher. Aber das könnte eine Illusion sein. Es ist schon seltsam, dass du es nicht merkst.«
Sie versteifte sich ein wenig.
»Wie meinst du das?«
»Na ja, bei deinen Erbanlagen â¦Â«
Sie rieb ihren schlanken Nacken an meiner Hand.
»Ach, was ist mit meinen Erbanlagen?«
Ich redete vorsichtig um den heiÃen Brei herum. Um Himmels willen sollte mein Ton nicht dozentenhaft klingen.
»Die sind von Spuren geprägt, über die es sich nachzudenken lohnt. Wäre ich Psychoanalytiker und nicht Kunsthistoriker, könnte ich dir eine fertige Antwort liefern. Aber so â¦Â«
»Da deine Spezialisierung nicht klar umrissen ist, solltest du es zumindest versuchen.«
Ich schüttelte den Kopf mit düsterer Bestimmtheit.
»Ich bin eine verkrachte Existenz.«
»Nun komm schon«, sagte sie heiter, »kaum jemand merkt eine Ungenauigkeit.«
»Doch, du merkst sie.«
»Los, sprich weiter.«
»Iss deinen Baumkuchen, während ich rede.«
»Mach weiter!«, sagte sie mit vollem Mund.
»Also gut, ich bin vielleicht auf eine dumme Art ehrgeizig, aber ich versuche es auf die andere Tour, achte auf nichtverbale Zeichen und Verhaltensformen. Das kann unter Umständen sehr aufschlussreich sein. Das Haus zum Beispiel, in dem ich wohne â¦Â«
Sie wirkte leicht überrumpelt.
»Tante Azais Haus?«
Ich musste meine Gedanken loswerden, aber nicht alles auf eine
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