Tochter des Windes - Roman
schlurfte mit einem Gartenschlauch oder einer gelben GieÃkanne in der Hand von einem Strauch zum anderen. Wir begrüÃten einander, wechselten ein paar Worte über das Wetter. Herr Yoshimura meinte, dass ich Fortschritte in Japanisch
machte. Bemerkenswert, sagte er. Ich bedankte mich, wie es sich gehört. Wir verneigten uns höflich voreinander, bevor jeder zufrieden seinem Alltag nachging.
Seit zwei Wochen hatte Mia in wirklicher Eile und offensichtlicher Wut eine neue Wohnung gesucht. Es widerstrebte ihr, in den gleichen vier Wänden zu bleiben, die sie mit ihrem Ex geteilt hatte. Diese Wände waren ihr zuwider. Jetzt war ein Apartment im gleichen Hochhaus frei geworden, in dem auch Isao wohnte und das er selbst konzipiert hatte.
»Der Besitzer wollte die Wohnung verkaufen, er fand sie zu klein. Für mich sind fünfzig Quadratmeter gerade richtig. Isao hat alles in die Wege geleitet. Ein Glücksfall, ne?«
Eins â zwei â drei, ein sauberer Schlussstrich, das passte zu Mia, während ich nach wie vor mit einem Zipfel gefühlsduseliger Nostalgie an meiner Wohnung in Hamburg hing. Das war nur noch feige, und feige Typen konnte ich im Prinzip nicht ausstehen. Wahrscheinlich war ich schizophren.
Das neue Wohnviertel hieà Chiba, direkt am Meer. Ich erfuhr, dass man schon vor Jahren den Meeresboden aufgeschüttet hatte, um neues Land zu gewinnen. Jetzt waren autofreie StraÃen angelegt worden, mit eleganten Baumbeständen und kleinen Felsengärten mitten im Stadtteil, kunstvolle Kreationen von Linien und Farben. Das Viertel lieferte groÃzügigen Raum für eine experimentierfreudige Architektur, wobei ich zugeben musste, dass sich die Gebäude, groà oder klein, harmonisch ihrer Umgebung anpassten. Das Hochhaus, das Mias Wohnung beherbergte, war ein überdimensionaler Glaskasten, der auf wuchtigen Stützpfeilern etwas isoliert stand und einer diagonalen Skulptur glich, die von Weitem gesehen schief in der blauen Luft hing, ein gleichzeitiges Verankertsein und Schweben. Das ganze Gebäude erstrahlte nobel im silbernen Licht, eine ultramoderne, zweifellos bemerkenswerte Wohnmaschine. Doch als
Mia beiläufig wissen wollte, was ich von der Schöpfung ihres Bruders hielt, fiel mir eine schlaue Antwort auf Anhieb nicht ein. Im Grunde hatte ich etwas gegen schräge Gebäude.
»Typisch Isao«, meinte ich. »Er hat sich ganz schön ausgetobt.«
Sie lachte.
»Die Wohnungen waren im Nu verkauft. Es gab eine Warteliste. Alle, die es sich leisten können, wollen an der Waterfront leben. Die Lage ist einfach die beste.«
Worauf ich mir kleinkariert und banausisch vorkam, weil ich ihre Begeisterung nur bedingt teilte und immer wieder an ein riesenhaftes Motorboot erinnert wurde, das hochgeschleudert und schief in der Luft gestrandet war und mir irgendwann mal auf den Kopf krachen würde. Vermutlich hatte ich da ein Problem.
Lautlos öffneten sich die Glastüren der Eingangshalle. Wir gingen über gletschergrünen Granit. An der Wand hing eine monumentale Skulptur aus versilbertem Stahl. Ein Kranich, sagte Mia. Ich nickte brav. Auf den ersten Blick war das nicht ersichtlich. Hinter einer Theke thronte ein Concierge in marineblauer Uniform, der beflissen grüÃte. Der Lift öffnete sich in der Eingangshalle, und der warme Duft von synthetisch hergestelltem Zedernholz strömte uns entgegen. In ein paar lautlosen Sekunden brachte uns der Fahrstuhl ins achtundzwanzigste Stockwerk. Ein dichter blauer Spannteppich federte angenehm unter unseren FüÃen. Mias Wohnung bestand aus zwei kleineren Räumen, perfekt durchdacht, formvollendet und wirklich schön, mit erlesenen Materialen, Parkett und Tatamimatten im Schlafbereich. Die Kochnische war blitzblank und aufgeräumt, nichts fehlte. Auch die Nasszelle, wie üblich durch eine Glaswand in zwei geteilt, war perfekt durchdacht: eine tiefe Sitzbadewanne, ein elegantes Lavabo-Ensemble aus rosa Marmor, ein raumhoher Spiegel.
»Welche Frau will schon ihre Falten sehen?«, meinte Mia. »Rosa ist eine sehr schmeichelhafte Farbe.«
Ich betrachtete mein Gesicht in der Spiegelwand, rosa angehaucht und zehn Jahre jünger.
»Gefällst du dir?«, fragte Mia.
Ich grinste mir einfältig zu.
»Es reiÃt mich aus meiner Vorstellung heraus, die ich von mir selbst habe.«
»Und wie findest du die Wohnung?«
»Puristisch und radikal«, sagte
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