Tod am Chiemsee (German Edition)
einmal ganz zufällig beobachtet, wie Theresa
etwas dort hineinschob. Als Theresa fort war, hatte Friederike den Zettel
herausgenommen. Lass uns zusammen fortgehen, denn ich
ertrage es nicht, dich zu vermissen. Du bist mein Leben. Romantisch,
hatte sich Friederike gedacht und den Zettel wieder im Sockel verstaut. Bis zu
jenem Tag, als ihr diese gemeine Idee gekommen war.
Natürlich fiel es auf, dass Moritz ziemlich oft in der Kapelle
gesehen wurde, und es mochte den Nonnen komisch vorgekommen sein, aber zu beten
konnte man einem gläubigen Menschen schließlich nicht verbieten.
Eifersucht und Neid waren Friederikes vorherrschende Gefühle
gewesen. Und als Moritz Lanz und Theresa Biedermann verschwanden, dachte sie an
den Zettel und hasste die beiden dafür. Aber sie waren nicht zusammen in ein
neues Leben gegangen, sondern in den Tod.
In der Kapelle hatte sich so manches abgespielt. Aber mit Friederike
hatte das nie etwas zu tun. Marian sang damals immer diese selbst komponierte
Liedstrophe, sobald sich der Pfarrer zur festgelegten Beichtstunde in seinen
Stuhl zurückgezogen hatte. Absolut respektlos, aber der Pfarrer hatte nie
mitbekommen, wer da sang. Und ausgerechnet jetzt fiel ihr dieses Lied ein.
Wie konnte die Kirche so eine Frau in ihrer Mitte dulden? Der
Pfarrer war auch nur ein Mann – und gar nicht so alt gewesen, als sie zur
Schule gingen. Wenn sie sich richtig erinnerte.
Friederike atmete tief durch und schlüpfte in hochhackige Pumps. Für
ein paar Stunden konnte sie die Schuhe ertragen, sie brauchte ja nicht die
ganze Strecke zu Fuß zu laufen. Und das Wetter zeigte sich heute von seiner
besten Seite.
Die Chiemseewerft lag am Priener Ufer des Chiemsees, das Areal
gehörte zu einem Yachtclub. Sie würde mit dem Schiff übersetzen, und Maximilian
war kein kleines Kind mehr, das man beaufsichtigen musste – das hoffte sie
jedenfalls. Sie würde ihm einschärfen, nichts zu tun, was irgendwelche
fürchterlichen Folgen haben könnte.
»Zum Beispiel?«, fragte er, und obwohl es wie eine harmlose Frage
klang, war bei dem Jungen absolut nichts harmlos.
»Sagen wir, du hättest vor, in die Klosterkapelle einzubrechen und
würdest dort die Madonna von ihrem Sockel herunterholen und auseinandernehmen.«
Auf die Schnelle fiel ihr nichts anderes ein, sie hatte gerade eben noch an die
Madonna in der Kapelle gedacht. Und ein solches Szenario war wenigstens
anschaulich.
»Jaaa, ganz fürchterlich«, bestätigte Maximilian. »Was sollte ich
mit der Madonna?« Er zog ein Gesicht, als hätte er Blähungen.
»Maximilian, das ist eine Hypothese. Ein Was-wäre-wenn-Fall – das
würde für uns nämlich Ärger bedeuten. Ich verletze gerade meine
Aufsichtspflicht. Also kann ich mich darauf verlassen, dass du brav bist?«
»Ist es das, was du selbst gern machen würdest, weil dich die Nonne
geärgert hat und weil sie versucht hat, dich zu ertränken?«
»Waaas?«
»Die Madonna dissen«, gab er völlig ungerührt zurück.
Friederike Villbrock knurrte etwas wenig Freundliches über freche
und dumme Kinder, schnappte sich ihre Handtasche und verpasste der Tür einen so
heftigen Stoß, dass sie hinter ihr ins Schloss fiel.
Auch dazu hatte Maximilian einen Kommentar, aber den hörte sie nicht
mehr.
Der Raddampfer übertönte die Gespräche an Deck, doch Friederikes
Gedanken waren laut. Sie nahm die Sonnenbrille aus dem Etui und setzte sie auf.
Zu gern hätte sie sich ihrer Schuhe entledigt, aber das war für eine Frau in
ihrem Alter nicht passend. Hättest du andere angezogen, tönte es in ihrem Ohr, und
einen Augenblick dachte sie, die Stimme gehörte zu einem Menschen.
Sie legten in Prien an. Friederike sah nur die kleine
Schmalspurbahn, ein Café, ein Hotel und einen großen Parkplatz. Sie würde sich
ein Taxi nehmen müssen.
»Zur Chiemseewerft«, wies sie den Fahrer an und erntete ein
fragendes Grummeln. »Die Gebrüder Lanz«, sagte sie, was so nicht stimmte.
»Ah so«, kam es zurück, »die Knochen im Koffer. Den anderen Bruder
gibt’s aber noch.«
Na, wunderbar. Da hätte sie auch mit Maximilian debattieren können,
der hätte sich mit dem Taximenschen sicher blendend verstanden.
»Und genau dahin fahren Sie mich jetzt.« Zu einem abschließenden Bitte hatte sie keine Lust.
Friederike war noch nie auf einer Werft gewesen. Widerrechtliches
Betreten, weil sie aufs Gelände marschierte, ohne um Erlaubnis zu bitten.
Der Taximensch machte sich aus dem Staub, und Friederike wurde klar,
es wäre schlau
Weitere Kostenlose Bücher