Tod am Chiemsee (German Edition)
Umschlag hin.
Stefan, der seine unteren Regionen schnell mit dem Duschgel verdeckte, griff
umständlich nach dem Umschlag.
»Er wurde geöffnet«, stellte er nach einem kurzen Blick darauf fest.
»Natürlich. In unserem Kloster gibt es keine Geheimnisse.«
Wollen wir wetten?, hätte Stefan am liebsten erwidert.
Er drückte den Brief an seine Brust und sagte: »Ein Geheimnis
scheint allerdings der Duschraum zu sein.« Er sah dämlich aus und er wusste es.
Schwester Jadwiga deutete mit dürrem Hexenfinger auf eine Tür am
Ende des Ganges. Stefan zögerte, aber die Ordensfrau machte keine Anstalten,
weiterzugehen.
Sie wird mir auf den Hintern starren, ich weiß es. Schneller als er
eigentlich wollte, eilte Stefan den Gang entlang und war froh, als er die
richtige Tür gefunden hatte und den Schlüssel von innen umdrehen konnte.
Das Bad war gar nicht mal so klein und auch ziemlich modern. Es gab
natürlich keine Fußbodenheizung, die Bodenfliesen waren eiskalt. Aber der Grund
dafür war naheliegend. Man wollte keine Dauerbadbenutzer.
Er setzte sich auf den Hocker, den er unter einem Spiegelschrank
hervorgezogen hatte. Geheimnisse oder keine – es war jedenfalls inzwischen
bekannt, dass sich jemand von der Polizei im Kloster aufhielt.
Für den Herrn Kriminalkommissar im Kloster Frauenwörth, so stand es
tatsächlich auf dem Kuvert. Stefan musste lachen. Die Handschrift stammte nicht
von einer jugendlichen Person, denn die Buchstaben waren teilweise in
altdeutscher Schrift geschrieben, zackig und akkurat. Er zog den Brief heraus.
Die Gefahr kommt vom Wasser, ich habe es gesehen.
Es gibt ihn noch, den Mörder, und irgendwo auf Frauenchiemsee ist jemand, der
sein Gesicht kennt. Wenn Du Antworten willst, dann frag die alte Kath –
Katharina Venzl aus Gollenshausen.
Darunter stand ein Postskriptum: Die hübsche
Seglerin ist ertrunken, der See wird sie aber noch ein wenig behalten.
Die Gefahr kommt vom Wasser. Stefan drehte die Brause in der Dusche
auf.
Katharina Venzl. Eine Hellseherin, Wahrsagerin? Oder was sonst wollte
ihm die Frau sagen? Aber an so etwas glaubte Stefan Sanders überhaupt nicht.
»Dann werden wir mal schauen, was es über dich zu erfahren gibt,
Katharina Venzl«, sagte er zu sich.
Erfrischt stieg Stefan aus der Dusche. Leise drehte er den
Schlüssel an der Tür wieder um. Ein Blick hinaus, und er spurtete los. Diesmal
behelligte ihn keine Schwester.
Er zog sich an und machte sich auf die Suche nach Marian. Schwester
Althea mochte er sie nicht nennen, schon gar nicht nach der gemeinsam
verbrachten Nacht im Boot. Ein Lächeln legte sich auf seine Züge. Marian war
immer noch da – irgendwo unter diesem schaurigen Gewand, irgendwo unter dem
schwarzen Schleier.
Mitten auf dem See hatte sie plötzlich verkündet: »Ich trage
Unterwäsche!« Und dann zog sie ihren Habit aus und hob den Schleier vom Kopf.
Sie war immer noch eine schöne Frau.
»Das mit dem Nacktbaden, das war geschummelt, aber ein
Mitternachtsbad im Chiemsee ist auch so schön erfrischend.«
Hätte seine Mutter sie so gesehen, sie wäre tot umgefallen.
Marian schwamm bestimmt zwanzig Minuten und ließ sich dann von ihm
wieder ins Boot helfen. Er drehte den Kopf weg, damit sie die nassen Sachen
ausziehen konnte. Nicht einmal da war er sich komisch vorgekommen. Es war
eigenartig. Sie war ihm so vertraut, obwohl viele Jahre vergangen waren und er
damals noch ein Teenager gewesen war.
»Da drüben ist die Chiemseewerft«, sagte sie dann, inzwischen wieder
ganz züchtige Klosterschwester. »Und wenn jemand einen Grund, ein Motiv und die
Gelegenheit gehabt hat, Theresa und Moritz zu töten, dann wirst du dort einen
Hinweis finden.«
Ehe er nach den Rudern griff, deutete Stefan auf den Kleidersack und
fragte: »Wozu haben wir den überhaupt mitgenommen?«
Über die Antwort musste er so derart herzhaft lachen, dass es über
den ganzen See schallte. »Es war mein fleischloser Köder, Herr Kommissar. Hier
sind wir allein und müssen keine Ohren fürchten.«
Ja, die Ohren wurden hier wirklich überall gespitzt.
Als Stefan jetzt nach Schwester Althea fragte, sagte man ihm, sie
sei entweder im Garten, auf der Krautinsel oder in der Kapelle.
Zuerst schaute er im Garten, dann schlug er den Weg zur Kapelle ein.
Rudern würde er heute nicht.
Die Tür zur Kapelle stand weit offen. Von drinnen ertönte Marians
Lachen. Sie war wohl die einzige Nonne, die es wagte, in der Kirche so
unbeschwert zu lachen. Die andere Stimme klang sehr jung
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