Tod am Chiemsee (German Edition)
lautstarker Traum.
Darin war auch Friederike vorgekommen – welch garstige Heimsuchung!
Jetzt sind wir beide wieder da, hatte sie gesagt.
Lieber Gott, war das nötig? Es gibt so viele schöne Flecken auf der
Welt. Obwohl ich mich schwertue, ihr auch nur einen einzigen davon zu gönnen,
würde ich einen Kompromiss eingehen – die Arktis. Optimal, weil eisig. Da würde
Friederikes seelenlose Kälte nicht weiter ins Gewicht fallen.
Althea setzte sich auf und schwang ihre Beine über den Bettrand. Es
war erst neun Uhr abends und schon so dunkel, als wäre es tiefste Nacht. Sie
hatte das Abendessen ausfallen lassen, weil sie sich nicht wohlfühlte; als sie
zu Bett gegangen war, hatte sie noch nicht einmal die Vorhänge zugezogen.
Doch es war nicht der Traum gewesen, der den Lärm veranstaltete,
sondern die Unwetterglocke des Klosters. Dazu noch der Regen, der ihr Fenster
ins Visier genommen hatte. Er kam waagerecht über den See geschossen. Und ein
Wind, der eigentlich mehr Sturm war, peitschte landeinwärts.
Althea sah die Lichter auf dem See. Die Sturmwarnleuchten gaben ein
optisches Signal – das Orangerot der Drehscheinwerfer blitzte schnell und
regelmäßig auf. Boote der Wasserwacht und der Wasserschutzpolizei rückten aus,
um sich um leichtsinnige Segler, Windsurfer und Schwimmer zu kümmern, die die
Sturmwarnung ignoriert hatten und sich jetzt in ernsten Schwierigkeiten
befanden.
Es wäre eine gute Gelegenheit, frische Luft zu schnappen, fand
Althea. Sie könnte für eine wohlbehaltene Rückkehr der Leichtsinnigen beten.
Vielleicht würde der Sturm gnädigerweise auch ihre keineswegs
schwesterlich-freundlichen Gedanken an Friederike Villbrock mit sich
davontragen.
Sie schlüpfte in ein Paar geschlossene Schuhe und zog sich einen
Regenmantel über das Nachthemd. Die Mühe, ihr Haar zu bändigen und unter der
Haube zu verstecken, sparte sie sich. In der Dunkelheit würde sich niemand
dafür interessieren.
Althea lief durch den Gang und die Treppen hinunter. Im Freien bot
sich ihr ein Bild der Verwüstung. Äste flogen umher, der Sturm riss an allem.
Schwarze Wellen schlugen gegen den Strand und durchnässten ungnädig, was ihnen
im Weg war. Der See tobte. Wer jetzt dort draußen und nicht von Kind an mit den
Gegebenheiten vertraut war, der hatte keine Chance, dachte Althea.
Erst der nächste Morgen offenbarte das ganze Ausmaß des Dramas.
»Wer nicht hören will, oder sagen wir, wer nichts sehen will …«,
tönte der Radiomoderator, »der muss mit den Konsequenzen leben … oder
vielleicht nicht mehr. – Seit der vergangenen Nacht wird eine Seglerin
vermisst. Der Rettungsdienst Chiemsee fand ihr havariertes Boot. Die Suche
dauert noch an, doch von der Frau fehlt bisher jede Spur. Der Chiemsee ist eben
kein harmloser Weiher, aber wünschen wir der Seglerin Glück.«
Harte, aber treffende Worte am frühen Morgen, fand Althea, doch
Glück allein würde in einem solchen Fall nicht genügen.
Der Sturm hatte ganze Arbeit geleistet und auch ihren Garten nicht
verschont.
Althea bedeutete die Heilende , sie trug
die Verantwortung für das, was ihr Name vorgab: Sie war die Kräuterexpertin der
Abtei. Sie kümmerte sich um den Garten, stellte Heilsalben her und setzte
Tinkturen an.
Ihre Pflanzen waren nicht verloren, auch wenn der garstige Wind
viele Blüten und Zweige gefordert hatte – doch die Seglerin wahrscheinlich
schon.
Althea schaffte es gerade noch zur verabredeten Zeit zu ihrem
Treffen mit dem Künstler Gregor Tümmler, der nebenbei auch ein guter Freund
war.
Er wohnte unweit vom Kloster in einem kleinen weißen Haus mit einem
schönen Wintergarten zur Seeseite. Der Garten war voll von allerhand bunten
Skulpturen. Er arbeitete sowohl mit Eisen als auch mit Holz, und seine
Kunstwerke regten die Phantasie an; man konnte lachen und sich nebenbei
überlegen, was dem Künstler dabei durch den Kopf gegangen war.
Zwar hatte auch hier der Sturm gewütet. Soweit sie sehen konnte, war
aber nichts kaputtgegangen.
Sie wollte Gregor davon überzeugen, dass es für ihn nicht gerade von
Nachteil wäre, zum Sommernachtsfest einige seiner Arbeiten im Klostergarten
auszustellen. Vielleicht am Rande oder auch mitten im Labyrinth – spiralförmig
angelegte Wege auf einer Fläche, die in früheren Zeiten ein Stück Gartenland
gewesen war. Entspannung, Erholung, der Weg zur Mitte – na, wenn das eine
Künstlerseele nicht ansprach!
Gregor bat sie in den Wintergarten, dessen große Fenster zu beiden
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