Tod am Chiemsee (German Edition)
Stimme, als er
sich auf dem Oberdeck auf eine der Bänke fallen ließ.
»Katharina Venzl«, sagte er. »Ist das Zufall oder setzen Sie zur
Insel über, um aufs Sommernachtsfest zu gehen?«
»Kein Zufall, aber ein anhaltend schlechtes Gefühl. Dort drüben
geschieht etwas … und es ist spät.«
»Spät?«, wiederholte Stefan. Etwas Kaltes griff nach seinem Herzen.
»Was soll das heißen?« Er beugte sich vor. Die alte Kath konnte einen schon das
Fürchten lehren.
»Vielleicht eilt es, weil es schon die ganze Zeit über da gewesen
ist – dieses Gefühl.«
»Bitte keine Rätsel«, sagte Stefan alarmiert.
»Ich würde meinen, unsere Althea hat ausgerechnet den Mörder um
etwas gebeten. – Und, weißt du schon, wer’s gewesen ist, der die beiden jungen
Leute und Gerlinde getötet hat?«
Stefan wusste es. Kath wusste es auch. Nur waren ihre
»Ermittlungsmethoden« ganz andere als seine. Sie sah etwas, hatte Bilder vor
Augen. Oft allerdings nicht einmal das. Für ihn mussten es belegbare Beweise
sein, aber das waren sie auch nicht immer. Stefan hätte es amüsant finden
können, doch das hatte er nicht einmal getan, als sie ihm damals den Brief
schrieb. Eine Hellseherin, und jetzt saß er hier mit ihr auf dem Schiff. Sie
schien durch ihn hindurchzublicken.
»Ach, Herr Kommissar. Heutzutage gibt es Handys, manchmal wäre es
klug, eins zu benutzen.« Die alte Kath wackelte mit dem Zeigefinger. Es war
eine Rüge.
Den Mörder um etwas gebeten – natürlich. Marians Idee mit den
Gondeln; sie hatte deshalb in der Chiemseewerft angefragt. »Benedikt Lanz«,
sagte er fast tonlos.
»Du hast dafür Beweise?« Kath legte den Kopf schief. Fragend.
»Es dürfte reichen – für viele Jahre«, lautete die Antwort.
Was wollte Kath ihm zu verstehen geben? Dass Marian in Gefahr war?
Seine Tante konnte Benedikt Lanz kaum gefährlich werden, sie wusste bis jetzt
nicht, wer gemordet hatte. Jedenfalls hoffte er das.
Ein wenig kam er sich bei Katharina Venzl so vor, als versuchte sie,
ihm etwas beizubringen, und als wäre ihr Schüler ziemlich schwer von Begriff.
War er das? Fragen würde er Kath nicht, aber er wollte von ihr wissen, was sie
vermutete – und was sie gesehen hatte. Was auch immer es war.
Als sie es sagte, klang es gar nicht rätselhaft. Das war der
Zeitpunkt, an dem er begriff, was sie mit »spät« meinte.
»Der Zeuge«, sagte sie schlicht. Das Wort konnte für jemanden den
Tod bedeuten.
»Wie bist du auf Benedikt gekommen?«, wollte sie jetzt wissen, und
er erzählte ihr, was sich in der Landeshauptstadt zwischenzeitlich alles
ergeben hatte. »Sie waren ja auch nicht ganz unbeteiligt«, sagte er. »Das
Papier aus dem Koffer, das Gerlinde entdeckt hat. Es war das Mordmotiv. Sie hat
versucht, Benedikt mit ihrem Wissen zu erpressen.«
»Er würde sagen, dass er gezwungen war, sie zu töten. Als wäre das
etwas, was abgewogen werden konnte wie auf einer Waage.«
Sie hatte ausgerechnet eine Formulierung gewählt, die für diesen Mordfall
von Bedeutung war. Ein Waagengewicht hatte Gerlinde Dissler das Genick
gebrochen und sie in die Tiefe gerissen.
»Benedikt muss sich mit ihr getroffen haben, dort auf dem See.
Vorgehabt hat er diesen Mord vom ersten Moment an. Seil und Gewicht sprechen
dafür, denn in Gerlindes Boot hat sich nichts Derartiges befunden. Benedikt
Lanz hat geglaubt, er könnte einen Selbstmord vertäuschen. Das verschaffte ihm
Zeit.«
»Alte Leute denken langsamer, meinst du?« Kath lachte leise.
Jetzt hörte man von der Insel Musik und Stimmen. Die Fähre würde
gleich anlegen.
»So nicht«, sagte Stefan. »Zeit, sich zu überlegen, wie er weiter
vorgehen würde.«
»Unsere wird knapp«, mahnte die alte Kath.
Er nickte. Der Zeuge. Aber als er mit Marian das erste Mal in
Gollenshausen gewesen war, da hatte Kath von der dicken Dame gesprochen, die sich in Schwierigkeiten bringen würde.
Friederike Villbrock, vermutete er. Hoffentlich nicht. Die würde
ihnen allen Bluse, Hemd, Hose und Ordensgewand wegklagen. Denn diese Sache
konnte er durch nichts beweisen. Sie entsprang dem Wissen eines Professors, der
ein Segler war, und Stefans Gespür. Er hatte es genauer wissen wollen und hatte
das Gespräch auf Knoten gelenkt, als Lanz ihn in der Nacht mit seinem Boot zum
Kloster gebracht hatte. Benedikt war Linkshänder, das war Stefan aufgefallen,
als er gesehen hatte, wie Lanz den Außenborder steuerte.
Außerdem war auf Gerlinde Disslers Bildern vom Kofferinneren ganz
wunderbar zu erkennen, wer
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