Tod am Kanal
Das
Palaver wurde noch einige Minuten fortgesetzt. Danach warf Nicolaus von der
Hardt achtlos seine Schulsachen auf den Rücksitz. Der sommersprossige
Rothaarige folgte seinem Beispiel. Die beiden Jugendlichen bestiegen das
Fahrzeug und kurvten kurz darauf vom Parkplatz, während die anderen Schüler der
Gruppe, nunmehr wesentlich ruhiger, weiterzogen.
Christoph griff zum Handy und rief Mommsen an. Er gab
ihm das Kennzeichen des Wagens durch und bat um eine Halteranfrage und um
Prüfung, ob Nico eine gültige Fahrerlaubnis besaß.
Als Christoph zum Schulgebäude zurückkehrte, sah er,
dass Große Jäger mit dem fremdländisch wirkenden Jugendlichen sprach.
»Ich möchte von Ihnen wissen, wie Sie heißen«, sagte
der Oberkommissar.
»Was geht dich das an?«, fragte der junge Mann
aggressiv.
»Ich bin neugierig. Mich interessieren viele Dinge.
Abgesehen davon ist es hier üblich, dass man Erwachsene nicht duzt. Ist das
klar?«
Der Jugendliche winkte ab. »Verpiss dich, Alter.«
Er hatte Pech, dass der Oberkommissar heute schon
genug von jungen Leuten gereizt worden war. Ehe er sich versah, hatte ihn Große
Jäger am Kragen gepackt und hochgehoben, sodass der Junge mühsam auf den
Zehenspitzen balancieren musste, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Den
Zeigefinger der linken Hand hatte der Oberkommissar ausgestreckt. Damit bohrte
er zwischen zwei Rippen. Der junge Mann war so perplex, dass er jeden Versuch
einer Gegenwehr unterließ.
»Wie spricht man Erwachsene an? Das ist heute unsere
erste Lektion.«
»Du kannst mich …«, kam es über die Lippen, aber als
Große Jäger noch ein wenig mehr am Kragen zog, kapitulierte der junge Mann.
»Lassen Sie mich los. Was soll das Ganze, eh?«
»Na, bitte, es geht doch. Und nun die zweite Lektion.
Wie heißt du?«
»Fouad al-Shara.«
»Woher kommst du?«
»Aus diesem Kaff.«
»Dein Heimatland?«
»Meine Alten kommen aus dem Libanon.«
»Und, was willst du hier an der Schule?«
»Das ist meine Sache.«
Große Jäger verstärkte erneut den Druck.
»Was haben wir gelernt? Fragen werden brav
beantwortet. Also?«
»Ich warte auf meine Freundin.«
»Und das gefiel den anderen nicht, die dich vorhin
angemacht haben?«
Der Oberkommissar hatte al-Shara losgelassen.
»Die Spastis. Die glauben, weil ihre Eltern ‘nen
dickes Portemonnaie haben, können sie große Sprüche klopfen. Wenn ich einen von
denen allein erwische, poliere ich dem die Fresse.«
Große Jäger klopfte sich die Hände, als würde er
unsichtbaren Schmutz abschütteln.
»Da wäre ich vorsichtig, mein Junge. Dein Hormonstau
macht dich heißblütiger, als es für deine Gesundheit zuträglich ist. Wenn ich
dir einen Rat geben darf, dann halte dich ein wenig zurück. Sonst endest du
unfreiwillig als Eunuch. Und als Andersgläubiger kannst dabei nicht einmal im
Kirchenchor mitsingen. Das wäre doch Vergeudung.«
»Leck mich«, schimpfte al-Shara, drehte sich um und
ging fort.
»Wenn ich gewusst hätte, wie aufregend das Umfeld
einer Schule sein kann, dann hätte ich mir vielleicht auch Kinder angeschafft.«
Große Jäger sah Christoph an. »Ist das bei deinem Sohn genauso?«
»Gott sei Dank hat der vor den Sommerferien das Abitur
gemacht. Die Schule ist ein abgeschlossenes Kapitel.«
»Und? Was macht er jetzt?«
»Seine Mutter möchte, dass er studiert. Im Augenblick
sucht er einen Studienplatz. Das ist bei seiner Abiturnote aber nicht einfach.«
»Was heißt, seine Mutter möchte das? Was sagt der
Vater dazu?«
Christoph winkte ab. »Du kennst ja die Entwicklung
meines Privatlebens. Irgendwie gehöre ich nicht mehr richtig dazu.«
»Hast du an Scheidung gedacht?«
Christoph schüttelte den Kopf. »Darüber haben wir nie
gesprochen. Es ist eine merkwürdige Situation. Jeder geht seiner Wege, aber
endgültig trennen – davor scheuen wir uns beide.«
Sie hatten den Eingang der Schule erreicht.
Mittlerweile war der Strom der Schüler verebbt. Im Schatten des Windfangs stand
Harry Trochowitz.
»Wie gut, dass wir Sie treffen. Wir benötigen Ihre
Unterstützung.«
»Meine?« Der Hausmeister blickte ungläubig und wies
mit dem Zeigefinger auf sich.
»Am Bootssteg sind drei Kanus befestigt«, sagte
Christoph.
»Das stimmt«, nickte Trochowitz.
»Jetzt fehlt eines.«
»Das kann nicht sein.« Bevor Christoph antworten
konnte, war der Hausmeister in Richtung Ufer losgestürmt. Die beiden Beamten
folgten ihm.
»Tatsächlich. Das blaue mit dem schmalen weißen
Streifen fehlt.«
Christoph
Weitere Kostenlose Bücher