Tod am Kanal
Gehören Sie zur Familie von der Hardt?«
Christoph trat auf den Mann zu.
In den gefärbten blonden Haaren steckte eine modische
Sonnenbrille. Der gepflegte Dreitagebart warf ein paar Schatten auf das Gesicht
mit den markanten Zügen. Ein eckiges Kinn, eine geradezu klassische Nase und
hohe Wangenknochen verliehen dem Mann ein energisches Aussehen. Er straffte
sich und bog das Kreuz durch. Dadurch sprangen die Brustmuskeln hervor und
spannten das bis zur Magengrube aufgeknöpfte Leinenhemd, sodass es aussah, als
würden die Knöpfe abspringen. Unter den kurzen Ärmeln kamen ebenfalls
muskelbepackte Arme zum Vorschein. Der Mann kniff die Augen unter den in Form
geschnittenen Brauen zusammen und musterte zuerst Christoph, dann Große Jäger.
Er antwortete aber nicht.
»Sind Sie hier angestellt? Ist Frau von der Hardt zu
Hause?«, fragte Christoph.
Der Mann schwieg immer noch.
»Vielleicht ist er der Hausmeister und heißt Harry«, lästerte
Große Jäger. »Heute scheinen uns alle Deppen dieser Region zu begegnen.«
Der Mann warf dem Oberkommissar einen bösen Blick zu,
blieb aber immer noch stumm.
»Wenn uns der Türsteher nicht antworten will«, sagte
der Oberkommissar, »werden wir eben klingeln müssen.«
Der Blonde stellte sich Große Jäger in den Weg.
»Haut ab«, knurrte er. »Hausierer sind hier
unerwünscht.«
Bevor sein Kollege antworten konnte, schob sich
Christoph zwischen die beiden. »Wir sind von der Polizei und möchten mit
Nicolaus und seiner Mutter sprechen.«
Der Mann war einen guten Kopf größer als Christoph. Er
sah von oben herab. »Haben Sie so ‘n Dingsbums – so ‘n Wisch?«
»Wir brauchen keine Papiere, wenn wir uns mit jemandem
unterhalten möchten.«
»Und wenn die Leute nicht mit Ihnen reden wollen?«
Der Mann rollte das R wie Carolin Reiber. Sein Dialekt
verriet die bayerische Herkunft.
»Das würden wir von ihnen schon selbst hören wollen.«
Der Mann wandte sich wieder dem BMW zu und polierte weiter die
Motorhaube.
»Haben Sie nicht gehört, was mein Boss gesagt hat?«,
fragte Große Jäger und bückte sich.
»Zisch ab«, war die Antwort.
Der Oberkommissar streckte seine Hand über die
Motorhaube, öffnete die Faust und ließ langsam den schmutzigen Sand vom
Wegesrand hinabrieseln.
Entsetzt starrte der Muskelmann zuerst auf das Auto,
dann auf Große Jäger.
»Bist du bescheuert?«, rief er und machte einen
Schritt auf Große Jäger zu. Der wich gelassen nach hinten aus.
»Wollen Sie uns wegen eines tätlichen Angriffs auf
einen Polizeibeamten aufs Revier begleiten?«
Der Blonde fletschte die Zähne. Für einen Moment sah
es aus, als wollte er nachsetzen. Dann besann er sich aber und zeigte zum Haus.
»Frau von der Hardt ist da.«
Die beiden Beamten gingen zur Haustür, als der Mann
hinterherkam.
»Warten Sie. Die beiden sitzen auf der Terrasse. Ich
gehe voran.«
Er umrundete das Haus auf einem mit Bruchgranit
gepflasterten Weg. Der großzügig angelegte Garten wurde am Ende durch eine
dichte Hecke mit Krüppelkiefern begrenzt. Auch an den Seiten war er zugewachsen.
Im Hintergrund stand ein Strandkorb. Man sah dem Areal an, dass es durch eine
professionelle Gärtnerhand gehegt wurde.
Auf der ebenfalls mit Bruchgranit gepflasterten
Terrasse standen weiße Gartenmöbel. Es war eine wuchtige Garnitur, die allein
von ihren Ausmaßen in keinen Reihenhausgarten gepasst hätte.
In einem Gartenstuhl mit hoher Rückenlehne lümmelte
sich Nicolaus von der Hardt. Er zog an einer Zigarette und sprach mit einer
schlanken Frau, die so ebenmäßig sonnengebräunt war, dass es eher wie durch
einen Maskenbildner als durch die Natur herbeigeführt schien. Da sie nur mit
einem knappen Bikiniunterteil bekleidet war, konnte man die lückenlose
Vollkommenheit der Haut deutlich erkennen.
Es war eine gepflegte und auf den ersten Blick
ausgesprochen attraktive Frau. Ein langer Hals, kein Fettansatz an Bauch,
Hüften und Oberschenkel, schlanke Fesseln und Brüste, die auch ohne
Bikinioberteil von ihrer Trägerin zur Schau gestellt werden konnten.
Sie trug in ihren langen blonden Haaren eine hochgeschobene
Sonnenbrille und sah auf, als die drei Männer auf die Terrasse traten. Erst
beim Näherkommen sah man die Falten, die sich am Hals, um den Bauchnabel und an
den Augenwinkeln zu bilden begannen.
»Was gibt es, Simon?«, fragte sie mit einer angenehmen
Stimme, die weder zu hoch noch zu tief war.
»Die beiden sind von der Polizei und wollen mit euch
sprechen«, erklärte der
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