Tod am Kanal
Blonde.
Die Frau musterte die beiden Polizisten. Sie machte
keine Anstalten, ihre Blöße zu verbergen.
»Frau von der Hardt?«, fragte Christoph.
Sie nickte in Richtung der freien Stühle. »Bitte.«
Nicolaus stand auf. »Ich bin wohl überflüssig.«
»Es wäre schön, wenn Sie bleiben würden«, sagte
Christoph und nahm Platz.
Große Jäger setzte sich neben ihn. Mit einem
missbilligenden Blick registrierte Christoph, wie der Oberkommissar nach seiner
zerknautschten Zigarettenpackung angelte und sich, ohne um Erlaubnis zu fragen,
einen Glimmstängel anzündete.
Widerwillig ließ sich der Sohn in seinen Gartenstuhl
zurückfallen.
Bevor Christoph den Grund ihres Besuches erläutern
konnte, zeigte Große Jäger auf Nicolaus.
»Wir hatten heute bereits eine erste Begegnung. Ich
vermute, die Art und Weise, wie Ihr Sohn sich gegenüber Fremden aufführt, hat
er nicht in diesem Elternhaus gelernt.« Der Oberkommissar ließ ungeniert seinen
Blick über den Frauenkörper gleiten. Frau von der Hardt blieb es ebenso wenig
verborgen wie den anderen Anwesenden.
»Soll ich dir eine Bluse holen, Isabelle?«, fragte der
Blonde.
Sie schüttelte graziös den Kopf. »Danke, Simon. Ich
möchte die Sonne genießen. Um was ging es – ich meine, bei der Auseinandersetzung ?«
Große Jäger berichtete vom Zusammenstoß in der Schule.
Er unterließ es auch nicht, von der Beschwerde zu erzählen, die von Rebeccas
Lehrerin vorgetragen worden war.
Nicolaus folgte dem Ganzen ungerührt. Er schenkte
Große Jäger nur ein freches Grinsen. Für alle Anwesenden überraschend machte
der Blonde einen Satz auf den Jungen zu und hob die Hand. Nicolaus duckte sich
reflexartig weg und hob schützend die Arme vor das Gesicht. Es sah aus, als
wäre ihm diese Geste nicht fremd.
»Simon!«, rief Isabelle von der Hardt mit scharfem
Ton. Es klang, als würde sie einen Hund zurückpfeifen.
Der Blonde hielt in der Bewegung inne, sah die Frau an
und ließ langsam seine Hand sinken.
»Habe ich dir nicht immer wieder gesagt, du sollst
keinen Stress machen?«, schrie er den Jungen an, der förmlich in seinen
Gartensessel hineingekrochen war. »Was soll der Scheiß? Immer fällst du Idiot
aus der Rolle.«
Die Mutter rief noch einmal: »Simon!« Dann ließ der
Mann ab und trat zwei Schritte zurück.
»Darf ich fragen, welche Rolle Sie in diesem Haus
spielen?«, fragte Christoph.
Bevor sich Frau von der Hardt einschalten konnte,
antwortete der Mann: »Ich bin Isabelles Lebenspartner.«
Er erntete dafür einen vernichtenden Blick. Ohne dass
sich ihre Stimme verändert hatte, erklärte Frau von der Hardt: »Herr
Feichtshofer wohnt bei uns.«
»Ich möchte gern Ihren Ausweis sehen«, bat Christoph.
»Muss ich den zeigen?«, antwortete der Gemaßregelte
und sah zornig auf Nicolaus herab, der seinen Widersacher mit einem hämischen
Grinsen abstrafte.
Ohne dass es einer Erklärung bedurfte, erkannte
Christoph, dass die beiden Männer keine Freunde waren.
»Simon – bitte«, zischte Frau von der Hardt innerhalb
kürzester Zeit das dritte Mal den Namen des Blonden, der daraufhin wie ein
Dackel mit hängenden Ohren ins Haus trottete.
»Sie müssen Herrn Feichtshofer entschuldigen«, sagte
die Mutter. »Er meint es nicht so. Er ist manchmal ein wenig impulsiv.«
»Der denkt nur mit seinem Ständer«, mischte sich
Nicolaus ein, nachdem er sich zuvor durch einen Blick über die Stuhllehne
vergewissert hatte, dass Feichtshofer außer Hörweite war.
Kurz darauf kam der Blonde zurück und überreichte
Christoph seinen Ausweis. Der Mann war sechsunddreißig Jahre alt. Als letzter
Wohnsitz war Benediktbeuern in Oberbayern eingetragen.
»Sie üben einen Beruf aus?«
»Simon ist Fitnesstrainer«, antwortete Isabelle von
der Hardt an Feichtshofers Stelle.
»Wie lange wohnen Sie hier schon?«
»Sechs Monate«, sagte der Mann.
»Und in welchem Studio sind Sie tätig?«
Simon nagte an seiner Unterlippe. Offensichtlich
suchte er nach einer passenden Antwort.
»Herr Feichtshofer ist derzeit mein persönlicher
Sportlehrer«, übernahm die Mutter für ihn. »Zuvor war er in Bad Tölz tätig.«
Christoph gab den Ausweis zurück. »Sie sollten Ihren
neuen Wohnsitz nachtragen lassen.«
Der Mann wollte nicken, aber Isabelle von der Hardt
kam ihm erneut zuvor. »Simon ist hier nur Gast. Aber ich denke, Sie wollten
etwas anderes von uns.«
Christoph berichtete von der Ermordung Ina Wiechers’.
Dabei beobachtete er die drei Bewohner des Hauses. Die Frau ließ
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