Tod am Kanal
Ziegeln belegt. Eine Gaube in Form eines
Pfauenauges lockerte die große Dachfläche auf. Ein rustikaler Steinwall grenzte
das Grundstück ab.
Es dauerte eine Weile, bis sich auf den tiefen
melodischen Gong im Hause etwas regte. Die Tür wurde geöffnet, und der
rothaarige Schüler, der heute Morgen Nico von der Hardt zu besänftigen versucht
hatte, stand ihnen gegenüber. Der Junge erschrak, als er die beiden Beamten
sah. Er sah sie mit weit geöffneten Augen an.
»Jetzt hast du wohl Muffe, dass wir uns bei deinen
Eltern beschweren wollen«, sagte Große Jäger. »Wie heißt du eigentlich?«
»Jan Harms«, sagte der Junge und schluckte.
»Du bist siebzehn? Darf ich noch du sagen?«
»Ja.«
»Wozu ja ?«
»Zu beidem.«
»Okay. Wir sind von der Kripo und möchten gern mit dir
und deinen Eltern über die Schule sprechen.«
Jan Harms stand die Sorge immer noch ins Gesicht
geschrieben. Jetzt lachte Große Jäger.
»Es geht um Frau Wiechers. Sind deine Eltern da?«
»Mein Vater. Wir leben allein hier.« Jan öffnete die
Tür ganz. »Kommen Sie mit durch. Er ist hinten im Garten.«
Sie durchquerten den großzügigen Wohnbereich.
Christoph war erstaunt über die Einrichtung. Den Eigentümern mangelte es
offenbar nicht am Geld, dafür aber an Fantasie. Trotz einer gewissen
Behaglichkeit wirkte alles, als wäre es von einem Katalogdesigner für
Seniorenwohnungen zusammengestellt worden. Dunkles Eichenholz dominierte im
Wohnraum, eine schwere Sitzgruppe mit verschnörkelten Armlehnen, Lampen mit
ziselierten Messingfüßen und großen Schirmen und die gerafften Gardinen – all
das wirkte, als würde Jan bei seinen Großeltern leben.
St. Peter-Ording schien ein besonderes Pflaster zu
sein. Hier lebten nicht nur begüterte Menschen, sie scheuten sich auch nicht,
ihren Wohlstand zur Schau zu stellen.
Ein Mann mit dünnen roten Haaren und einem von
Sommersprossen übersäten runden Gesicht sah von seiner Zeitung auf, die auf
einem schweren Holztisch lag. Christoph musste nicht raten. Der Mann war der
Vater. Jan war eine jüngere Kopie des Seniors.
Ein schrill-buntes Hawaiihemd hing locker über den
Shorts und verdeckte auf diese Weise die Rundung des Bauches.
»Die sind von der Polizei«, sagte Jan.
»Polizei?« Der Vater stand auf und gab den beiden
Beamten die Hand. Dabei verneigte er sich leicht und murmelte jedes Mal: »Harms.« Dann legte er die Zeitung zusammen.
»Setzen Sie sich, meine Herren.« Erst als die Beamten
Platz genommen hatte, ließ er sich wieder auf der Gartenbank nieder. »Darf ich
Ihnen etwas anbieten?« Er wartete nicht die Antwort ab, sondern wies seinen
Sohn an: »Jan, hol noch mal zwei Weizen für die Herren.« Dabei zeigte er auf
das halb volle Bierglas vor seiner Nase. »Es gibt bei solchem Wetter nichts
Erfrischenderes.«
Christoph berichtete vom Mord an der Lehrerin.
»Schlimm. Das gibt’s doch gar nicht«, murmelte Harms.
»Das glaubt man nicht. Doch nicht hier bei uns.«
»Leider doch, Herr Harms.«
»Und wie kann ich Ihnen helfen?« Ein Aufleuchten war im
runden Gesicht zu erkennen. »Ah, Sie kommen zu mir, weil ich Vorsitzender des
Schulelternrates bin. Natürlich kenn ich die meisten Lehrer. Aber nur von den
Sitzungen. Ist ‘ne flotte Biene, diese Wiechers.«
»Papi«, tadelte Jan, der mit Getränken und Gläsern aus
dem Haus zurückgekehrt war. »Frau Wiechers ist tot.«
Schlagartig wechselte Harms den Gesichtsausdruck.
»Vielleicht soll man nicht so über Tote reden. Aber ich hab ja nix Schlechtes
gesagt. Und das soll man Verstorbenen nicht nachsagen. Aber ‘nen Kompliment –
das hört sie vielleicht ganz gern da oben.« Er wies mit dem Zeigefinger gen
Himmel. Unterdessen hatte der Junior die Gläser gefüllt. Er selbst trank Cola.
»Wir möchten uns ein Bild vom Umfeld der Schule
machen.«
Harms hob sein Glas und prostete den beiden Polizisten
zu. Dann wischte er sich mit dem stämmigen Unterarm den Schaum vom Mund.
»Tja, was soll ich Ihnen sagen. Wahrscheinlich haben
Sie schon von den Gerüchten gehört.«
»Es kursieren immer viele. Welches meinen Sie?«,
fragte Christoph vorsichtig.
»Dass das Eidergymnasium geschlossen werden soll. Es
gibt immer weniger Schüler. Und starke Konkurrenz. Die beiden Gymnasien in
Husum. Und hier in St. Peter-Ording haben wir auch zwei. Da führen die
Friedrichstädter ein Nischendasein.«
»Auch damit kann man leben.«
»Aber nicht, wenn man einen schlechten Ruf hat.«
»Das verstehe ich nicht«, mischte sich Große
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