Tod am Kanal
richtig verstanden habe, hatte sie ein Verhältnis mit dem
Lover von Isabelle von der Hardt. Der Bursche ist ja ein echtes Multitalent.
Jetzt verstehe ich auch, aus welchem Grund der sich fit hält. Und dann war der
Hauffe bei ihr zu Besuch. Das könnte aber auch harmlos gewesen sein. Der
abgewiesene Besucher war Maarten van Oy, der Schulleiter. Und ich dachte immer,
Lehrer sind moralische Vorbilder für unsere Kinder.«
Christoph lachte. »Sieh dich an. Früher war es doch
auch der gute alte Schutzmann, dem der Nachwuchs blind vertrauen konnte.«
Große Jäger klopfte sich gegen die Brust. »Ich bin
immer noch eine Respektsperson. Bei mir fühlen sich Junge und Alte bestens
aufgehoben. Vielleicht nicht solche Leute wie die, denen wir heute in St.
Peter-Ording begegnet sind. Möchtest du mit denen tauschen?«
»Darüber müssen wir uns keine Gedanken machen. Die
wollen auch nicht mit uns tauschen.«
Als sie die Abzweigung nach Friedrichstadt erreichten
und Christoph den Blinker setzte, fragte der Oberkommissar erstaunt: »Wo willst
du hin?«
»Ich möchte Hauffe besuchen, den Lehrer. Wie wir eben
gehört haben, war der ja gelegentlich Gast bei Ina Wiechers.«
Christoph umrundete das Stadtzentrum und steuerte die
Polizeizentralstation an. »Vielleicht wissen die Kollegen Interessantes zu
berichten. In einem so überschaubaren Gemeinwesen wie hier bleibt den Nachbarn
selten etwas verborgen.«
Das Polizeigebäude mit der zerbröckelten
Gelbklinkerfassade lag direkt am Ostersielzug, dem Kanal, der die Altstadt
östlich begrenzte. Die Dienststelle mochte früher ein altes Ladengeschäft
gewesen sein. Sie war nur durch das unscheinbare grün-weiße Schild mit der Aufschrift
»Polizei« unter dem Landeswappen erkennbar.
»Kennst du die Bedeutung unseres Landeswappens?«,
fragte Christoph.
Große Jäger schüttelte den Kopf.
»Es ist ein zweiteiliges Schild. Die beiden bezungten,
nach innen schreitenden Löwen im linken Teil sind seit dem Mittelalter das
Wappen des Herzogtums Schleswig. Das Nesselblatt im rechten Teil steht für
Holstein.«
»Ich verneige mich vor Ehrfurcht. Was du alles weißt.«
Christoph schmunzelte. »Als ich zur Schule ging,
nannte man das Fach Heimatkunde.«
Die altertümliche Holztür war verschlossen und ließ
sich auch durch das heftige Rütteln Große Jägers nicht öffnen.
Senkrechtlamellen verhinderten den Blick in die Diensträume. Vor einer
Topfpflanze, die einsam eines der Schaufenster schmückte, fanden die beiden
Beamten ein Hinweisschild.
»Das finde ich lustig. So werden wir entlastet«,
murrte der Oberkommissar. »Hier steht: ›Die Polizeistation ist zurzeit nicht
besetzt. Rufen Sie in Notfällen die Feuerwehr an.‹«
»Das ist eine sehr eigenwillige Auslegung des Textes«,
erwiderte Christoph. »Dort steht, dass du im Notfall einhundertzehn oder einhundertzwölf
wählen sollst.«
Rund um den Markt mit dem Häuserensemble im Stil der
holländischen Renaissance herrschte reges Treiben. Zahlreiche Besucher schlenderten
über den Platz mit den gestutzten Weiden, bewunderten den historischen
Marktbrunnen oder genossen einfach nur das schöne Herbstwetter in dieser
hübschen Stadt. Am anderen Ufer der Gracht, nur wenige Meter von der Stelle
entfernt, an der sie heute Morgen Ina Wiechers’ Leiche gefunden hatten, lärmten
die Gäste in den Cafégärten, die durch weiße Jägerzäune abgegrenzt und mit
überdimensionalen Sonnenschirmen geschützt waren.
Vor Hauffes Wohnhaus fanden sie keinen Parkplatz,
sodass sie ihren Dienstwagen ein Stück weiter abstellen mussten.
»Ich hasse es, wenn mir die Umstände das Gefühl
verleihen, man hätte mich zur Infanterie zurückversetzt«, maulte Große Jäger.
Sie klingelten an der Haustür, und anstatt eines
Türsummers öffnete ihnen kurz darauf Frau Hauffe. Sie erkannte die Beamten
wieder.
»Mein Mann ist auch da. Wollen Sie zu ihm?«
»Wir würden gern mit Ihnen beiden sprechen«, sagte
Christoph. Sie wurden in das Wohnzimmer geführt, von dem aus man auf die Gracht
sehen konnte. Wulf Hauffe saß am Esstisch. Vor ihm standen eine Tasse Kaffee
und ein leerer Teller. Krümel zeigten, dass das Ehepaar gerade zusammengesessen
hatte.
Das Angebot der Hausfrau, eine Tasse Kaffee
mitzutrinken, nahmen die Beamten gern an.
Christoph fragte Hauffe nach dem Schlüssel für das
Kanu.
»Den habe ich am Schlüsselbund. An meinem zweiten, an
dem ich die Schlüssel der Schule zusammengefasst habe.«
»Können Sie uns das zeigen?«
Hauffe
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