Tod am Kanal
solche
überraschenden Attacken sind wir machtlos. Das ist ein Teil unseres
Berufsrisikos.«
»Hör doch auf«, schimpfte Große Jäger. »Hätte ich
Hilke nicht allein gelassen, wäre ihr nichts passiert. Der Bursche hat sich
doch nur an sie herangewagt, weil sie allein auf ihn zugegangen ist.«
»Es ging nur um eine harmlose Befragung. Dass Fouad
al-Shara so reagieren würde, ist für alle vollkommen unverständlich.«
Der Oberkommissar wollte zum Telefon greifen, doch
Christoph drückte den Hörer wieder auf die Gabel zurück. »Es macht keinen Sinn,
wenn du alle zehn Minuten im Krankenhaus anrufst. Damit machst du nur die Ärzte
nervös. Die Leute tun alles, was in ihrer Macht steht. Soweit wir bisher gehört
haben, hat Hilke ein gebrochenes Nasenbein und zwei ausgeschlagene Zähne.
Vielleicht kommt noch eine Gehirnerschütterung dazu.«
»O Mann«, fluchte Große Jäger und hieb mit der flachen
Hand auf die Tischplatte. »Wenn ich den Kerl erwische …«
»… dann machst du gar nichts«, unterbrach ihn
Christoph. »Die Kollegen aus Friedrichstadt sind informiert und sehen sich nach
al-Shara um. Sie steuern auch sporadisch die Wohnung der Eltern an. Es ist eine
Frage der Zeit, bis wir ihn haben.«
Große Jäger stand auf. »Ich fahre noch einmal rüber
und helfe bei der Suche.«
Christoph drückte seinen Kollegen wieder in den Stuhl
zurück. »Gar nichts machst du. Du bleibst hier sitzen und bezähmst deine
Ungeduld.«
»Ich kann hier nicht rumsitzen.«
»Doch. Wenn du nicht augenblicklich Ruhe gibst, ketten
wir dich mit Handschellen an deinen Schreibtisch. Ich lasse dich nicht eher
los, bis du alle rückständigen Berichte aufgearbeitet hast.«
Der Oberkommissar zeigte seine nikotingelben
Zahnreihen. »Okay. Ich kapituliere, wenn du mit solchen massiven Drohungen
kommst.«
»Gut. Noch einmal zum Tathergang. Du hast gesehen, wie
Nicolaus von der Hardt und Jan Harms dazugekommen sind und den libanesischen
Jungen mit einem Messer bedroht haben.«
»Nicht nur ihn, sondern auch die beiden anderen
Kumpels von al-Shara, obwohl die sich nicht am Angriff auf Hilke beteiligt
haben.«
»Dann hat Nico verhindert, dass Hilke noch mehr
zugestoßen ist.«
»Fouad wollte zutreten. Das hätte er sicher auch
gemacht. Ich habe zwar gerufen, aber ich war zu weit vom Brunnen entfernt, am
Rande des Marktplatzes, wo die Prinzenstraße einmündet.«
»Das hätten wir gestern auch nicht geglaubt, dass sich
der junge von der Hardt als Retter einer Polizistin entpuppt.«
»Dieser Ziegenbart ist mit Sicherheit nicht mein
Freund. Trotzdem hat er beherzt eingegriffen. Ich denke, wenn ich den Bericht
schreibe, sollte ich vielleicht einen Blackout haben und vergessen, dass er den
Libanesen mit einem Messer bedroht hat.«
Mit einem skeptischen Blick auf Große Jäger und ein
paar mahnenden Worten an Mommsen verließ Christoph das Büro und ging zu
Polizeidirektor Grothe, der um seinen Besuch gebeten hatte.
»Ich weiß, Frau Fehling«, sagte er, als er das
Vorzimmer betrat. »Der Kollege hat alles fest im Griff. Er will nichts
verraten. Es soll eine Überraschung werden.«
Die Sekretärin des Chefs zog die Stirn kraus.
»Hoffentlich wird die Überraschung nicht zu groß. Schließlich kenne ich Herrn
Große Jäger auch schon einige Jahre.« Dann zeigte sie mit ihrer gepflegten Hand
zur Verbindungstür. »Der Chef erwartet Sie.«
Es wird eines der letzten Male sein, überlegte
Christoph, dass ich dieses Büro betrete und der massige rotgesichtige
Polizeidirektor hinter dem altertümlichen Schreibtisch thront. In Zukunft wird
ein anderer Wind wehen. Allein der durchdringende Geruch von Grothes Zigarren
wird ab der kommenden Woche fehlen.
Der Chef wies mit der Zigarre auf den Besucherstuhl.
»Erzählen Sie.«
Christoph berichtete von dem tätlichen Angriff auf
Hilke Hauck. Es war typisch für Grothe, dass er dazu keinen Kommentar abgab. Er
musste nicht erwähnen, dass jeder Kollege nach dem Täter suchen würde. Das war
eine Selbstverständlichkeit. Nachfragen waren auch nicht erforderlich, da
Christoph sich angewöhnt hatte, kurz und präzise zu berichten. Der
Polizeidirektor hatte nie seine Dithmarscher Wurzeln verhehlt. Jedes
überflüssige Wort war ihm zuwider.
»Ich hatte heute Morgen Besuch«, wechselte Grothe
übergangslos das Thema. »Der hat sich über Sie beschwert, mein Junge, weil Sie
seiner Auffassung nach nicht mit der gebotenen Ernsthaftigkeit den Fall seiner
Tochter verfolgen.«
Also war von Rantzau nach
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