Tod am Kanal
seinem Auftritt bei der
Kripo noch beim Leiter der Polizeidirektion vorstellig geworden. Grothe zog
genussvoll an seiner Zigarre, spitzte die Lippen und blies den Rauch in Ringen
zur Zimmerdecke. »Ich habe dem Mann die Adresse des Innenministers gegeben.
Dort kann er mehr Personal anfordern. Und wenn ihm das nicht passt, soll er
nächste Woche wieder zu mir kommen.«
»Aber dann sind Sie doch nicht mehr da«, sagte
Christoph.
»Eben.« Der Polizeidirektor beugte sich über seinen
Schreibtisch, griff zu einem Montblanc-Füller und begann, an den Rand eines
Protokolls Notizen zu machen. Das war das bekannte Signal dafür, dass die
Unterredung abgeschlossen war. Auf Christophs »Tschüss« reagierte Grothe wie
gewohnt nicht.
Als er ins Büro zurückkehrte, saß Große Jäger am
Schreibtisch, hatte den Kopf zwischen den Händen und stützte sich mit den
Ellenbogen auf der Arbeitsfläche ab. Der Zigarette, die zwischen Zeige- und
Mittelfinger der rechten Hand eingeklemmt war und deren Asche herabfiel, schenkte
er keine Aufmerksamkeit.
»Klaus Jürgensen hat sich gemeldet«, berichtete
Mommsen. »Es ist gelungen, das Handy der Toten zu lokalisieren. Damit wird oft
telefoniert. Wir haben darauf verzichtet, die Nummer anzuwählen.«
»Wo ist der Standort?«
»Die Gespräche kommen aus Heide.«
»Lässt sich das näher eingrenzen?«
»Heute Vormittag lag der Bereich rund um die
Klaus-Groth-Schule.«
»Da ist die Ehefrau von van Oy tätig. Ein merkwürdiges
Zusammentreffen. Kann man den Standort jederzeit bestimmen?«
Mommsen nickte. »Immer, wenn telefoniert wird.«
»Gut, dann werden wir beide jetzt nach Heide fahren.«
»Und ich?«, brummte Große Jäger unwirsch.
»Du kümmerst dich um deine Berichte. Und um deinen
Hund. Schließlich hat Harm auf Blödmann aufgepasst, während du in Friedrichstadt
warst.«
Der Oberkommissar lachte. »Kinder hüten doch gern
Hunde.«
Christoph und Mommsen stimmten in das Lachen ein,
bevor sie das Büro verließen.
Die Fahrt verlief ereignislos. Mommsen war im
Unterschied zu Große Jäger ein schweigsamer Beifahrer. Er hielt Kontakt zur
Kriminaltechnik in Flensburg, die ihn mit aktuellen Informationen zum Handy von
Ina Wiechers versorgte.
»Wer auch immer das Mobiltelefon hat, nutzt es
ungeniert und fast ununterbrochen.«
»Das ist zu unserem Vorteil«, meinte Christoph.
Mommsen dirigierte ihn zum Marktplatz der heutigen
Metropole Dithmarschens, der flächenmäßig der größte Deutschlands ist und zum
Parken genutzt werden kann.
Sie fanden problemlos einen Platz vor dem dunklen
Gebäude mit dem markanten Spitzgiebel, von dem immer noch der Schriftzug
»Westholsteinische Bank« prangte. Die war schon lange Geschichte und über eine
Kette von Fusionen und Übernahmen heute in italienischen Händen.
»Wie wollen wir den Nutzer des Handys nun finden?«,
fragte Mommsen.
»Wenn heute früh aus dem Umfeld einer Schule
telefoniert wurde, dann können wir vermuten, dass es sich um einen Schüler
handelt. Wir sollten Ausschau nach einem Jugendlichen mit einem Handy am Ohr
halten.«
Sie begannen ihren Bummel beim Traditionskaufhaus
Böttcher und schlenderten gemächlich über den Fußweg zwischen der Front
lebhafter Geschäfte in Richtung der Marktkirche. Auf Höhe der Volksbank hatte
sich eine Horde Schüler auf den Bänken eines Imbisses niedergelassen und war in
ein lebhaftes und lautstarkes Palaver verfallen. Die Kinder mochten vielleicht
zehn oder elf Jahre alt sein.
»Lass mich mal«, übertönte ein dürres Mädchen die
anderen und versuchte nach etwas zu greifen, das ein blonder Junge, dem eine
Art dünner Zopf vom Hinterhaupt herabhing, geschickt vor ihr in Sicherheit
brachte.
Die beiden Beamten steuerten auf die Schülergruppe zu.
»Hallo«, sagte Christoph freundlich. »Um was geht es?«
»Ach, nichts«, sagte der Junge und verbarg einen
Gegenstand in seiner ausgebeulten Hosentasche.
Mommsen hatte sein Handy hervorgeholt und tippte eine
Nummer ein. Erschrocken fuhr der Junge zusammen, als aus seiner Hose schrill
die Anfänge der Marseillaise erklangen.
»Woher hast du das Telefon?«, fragte Christoph.
»Ich habe keins«, sagte der Junge und griff instinktiv
von außen an die Stelle, von der sich das Handy unablässig meldete.
»Pass mal auf. Wir sind von der Polizei. Wir wollen
dir nichts Böses. Uns interessiert nur, woher du das Gerät hast.«
»Das ist meins«, antwortete der Schüler trotzig.
»Schön. Du sagst uns jetzt eure Telefonnummer. Dann
rufen
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