Tod am Kanal
mit
kreidebleichem Gesicht am Boden lag. Die Rettungsleute hatten einen Zugang
gelegt und versorgten über diesen das Opfer mit Medikamenten. Rebecca atmete
flach. Ihre Augen waren geschlossen. Die rechte Hand, um die sich der Notarzt
bemühte, war eine einzige blutverschmierte Masse.
»Wir wissen, dass sie eine hervorragende Pianistin
war. Möglicherweise am Anfang einer großen Kariere. Das muss auch der Täter
gewusst haben. Aus einem uns unbekannten Motiv hat er die Zukunft des Mädchens
zerstören wollen. Ich bin kein Mediziner, aber es scheint ihm gelungen zu sein.
Das ist nicht weniger grausam als Mord.«
Die Frage, ob man mit Rebecca sprechen könnte,
erübrigte sich. Deshalb verließen die beiden Beamten den Raum. Mommsen griff
zum Telefon und verständigte die Spurensicherung. Es gab wieder Arbeit für
Klaus Jürgensen und sein Team. Aufgrund der Blutspritzer, die überall im
Musikraum verteilt waren, lag die Vermutung nahe, dass der Fundort auch der
Tatort war.
Auf dem Flur standen der Hausmeister, Frau Wieslmayr,
der Christoph im Büro des Schulleiters begegnet war, als sie sich über das
Mobbing gegenüber Rebecca beklagte, und Wulf Hauffe. Alle drei machten einen
betroffenen Eindruck. Der Lehrer war blass. Die Augen lagen tief in den Höhlen
und waren von dunklen Schatten umringt. Vermutlich hatte Hauffe so gut wie
nicht geschlafen, nachdem er gestern gegen seine Tochter handgreiflich geworden
war und dabei erfahren hatte, dass sie schwanger war.
»Ist noch jemand im Hause?«, fragte Christoph.
»Ja – äh – nein«, antwortete Harry Trochowitz. Als
Christoph ihn fragend ansah, erklärte der Mann: »Herr van Oy war vorhin hier.
Nachdem das hier passiert war, wollte ich ihm Bescheid sagen. Aber da war er
schon wieder weg. Ich habe nicht mitgekriegt, wann er gegangen ist.«
»Sonst ist niemand hier gewesen?«
Der Hausmeister fuhr sich mit der Hand zum Kinn. »Ich
weiß nicht so recht. Das war nur ‘nen Zufall, dass ich die Deern gefunden habe.
Ich hab gesehn, dass dieser Araber vorhin ums Haus geschlichen ist.«
»Sie meinen den, auf den Sie uns gestern aufmerksam
gemacht haben?«
»Genau der. Ich bin durch die Räume und wollte
nachsehen, ob das Ölauge reingekommen ist. Der ist doch spitz wie sonst was und
lungert immer in der Nähe herum. Der hat es auf unsere Mädchen abgesehen.«
Für das »Ölauge« erntete Harry Trochowitz einen bösen
Blick von Christoph, der sich dann an die beiden Lehrer wandte. »Haben Sie den
libanesischen Jugendlichen auch bemerkt?«
Während Frau Wieslmayr den Kopf schüttelte, nickte
Hauffe heftig. »Ja, von meinem Fenster aus.«
»Sie haben beide nichts von dem Überfall gehört?«
»Nein«, kam Hauffe seiner Kollegin zuvor. »Wir haben
uns unterhalten.«
Frau Wieslmayr sah den Lehrer mit erstauntem Blick an.
»Aber das war doch früher. Dann sind Sie hinaus, weil Sie noch Vorbereitungen
in Ihrer Klasse treffen wollten.«
»Ach ja. Entschuldigung. Aber ich bin etwas
durcheinander.«
»Kommt es öfter vor, dass Sie nachmittags in der
Schule sind?«
»Eigentlich nicht, es sei denn, wir haben
Arbeitsgruppen. Selten auch einmal eine Konferenz«, sagte die Lehrerin. »Herr
Hauffe und ich waren hier mit Rebecca verabredet.« Sie zeigte mit
ausgestrecktem Finger zuerst auf ihren Kollegen, dann auf sich. »Wir beide bereiten
eine Veranstaltung vor, die im Advent stattfinden soll. Wir wollen unsere
Schule präsentieren und gleichzeitig ein kleines Dankeschön an die Eltern
richten, die uns in großzügiger Weise über den Förderverein unterstützen.«
»Und was hat Rebecca zu Rantzau damit zu tun?«
»Das Mädchen ist eine begnadete Pianistin. Wir haben
uns vorgestellt, dass sie als Höhepunkt der Veranstaltung ein wenig von ihrem
Können zum Besten gibt.«
Das war ein völlig neuer Aspekt. Gab es jemanden, der
verhindern wollte, dass sich das Eidergymnasium von seiner guten Seite
präsentierte?, schoss es Christoph durch den Kopf.
»Wer wusste von diesen Plänen?«
»Nun – ja. Die Schulleitung und das Lehrerkollegium.
Und Herr Harms, der Vorsitzende unseres Schulelternrates.«
»Gab es Stimmen, die sich dagegen ausgesprochen
haben?«
Die beiden Lehrer sahen sich nachdenklich an.
»Eigentlich nicht«, antwortete Wulf Hauffe. »Nur Ina Wiechers hatte eine andere
Meinung. Sie stand unserer Schule ohnehin skeptisch gegenüber. Diese Show würde
ein falsches Bild abgeben und den maroden Zustand, wie sie es nannte, nur
verschleiern.«
Von fern war das
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