Tod am Kanal
bis sich das warme
Wasser aus dem Kessel im Keller bis zu Christoph unters Dach hochgekämpft
hatte. Mit Zähneklappern trocknete er sich ab, verzichtete auf jede weitere
Maßnahme, die zum morgendlichen Standardprogramm der Hygiene gehörte, zog sich
rasch an und verließ auf leisen Sohlen das Haus, bevor seine Vermieterin in der
Tür erscheinen und sich nach dem Grund seines nächtlichen Aktionismus erkundigen
konnte.
Vor der Tür empfing ihn eine feuchtkalte Nebelluft. Um
die Straßenlaternen hatte sich ein Hof gebildet, der Ähnlichkeit mit dem
Schleier hatte, der gelegentlich den Mond geheimnisvoll umhüllte. Er stieg in
den Volvo, montierte das mobile Blaulicht und fuhr das kurze Stück bis zur
stillen Parkstraße, in der Mommsen und Karlchen das Obergeschoss eines
verwunschen wirkenden Hauses bewohnten. Christoph verzichtete auf das
Martinshorn. Lediglich das Blaulicht zuckte über den feuchten Asphalt und
reflektierte von den Fassaden der dunklen Häuser. Er befuhr die »Neustadt«
entgegen der vorgeschriebenen Einbahnstraßenregelung und hielt kurz darauf vor
dem Haus. Der Schlosspark auf der gegenüberliegenden Straßenseite lag dunkel
und friedlich im Nebel.
Mommsen sprang auf den Beifahrersitz, sagte knapp: »Moin«, und hantierte am GPS -System,
während Christoph das Stadtzentrum westlich umfuhr. In der ganzen Stadt
begegnete ihnen kein einziges Fahrzeug. Dafür gerieten sie aber gleich hinter
der Stadtgrenze in dichten Nebel, sodass der nächste Begrenzungspfahl kaum zu
erkennen war. Die Bundesstraße war fast leer. Nur zwei Autos kamen ihnen
entgegen, deren Scheinwerfer urplötzlich aus der Nebelwand auftauchten.
Mommsen hatte Kontakt zur Leitstelle aufgenommen. Dort
konnte man ihm allerdings keine weiteren Auskünfte geben. Sie waren bereits ein
ganzes Stück hinter Husum, als Mommsen hörte, dass der erste Streifenwagen am
Unfallort eingetroffen war. Kurz darauf erfuhren sie, dass zuvor die
freiwillige Feuerwehr aus Friedrichstadt und der Rettungswagen aus Tönning vor
Ort waren.
»Gibt es kein klares Lagebild?«, fragte Christoph.
»Leider nicht. Es ist dumm, dass wir in deinem Wagen
den Funk nicht abhören können. Es sind dürftige Informationen, die mir die
Leitstelle weitergeben konnte. Wir wissen bisher nur, dass auf der Brücke
jemand überfahren wurde. Achtung!« Mommsen hatte den Weg durch den dichten
Nebel auf der GPS -Anzeige
verfolgt. »Jetzt kommt die Abzweigung.«
Erst im letzten Moment tauchte die Bundesstraße auf, der
sie nun weiter folgen mussten.
»Wer geht bei diesem Wetter auf den Gleisen
spazieren?«, fragte Christoph.
»Keine Ahnung. Es ist eine ungewöhnliche Zeit. Fünf
Uhr. Ein Selbstmörder sucht sich wahrscheinlich einen anderen Zeitpunkt aus.«
»Wer weiß. Wenn es ein spontaner Entschluss war, dann
musste der Tote aber immerhin so lange warten, bis der erste Zug wieder fuhr.
Außerdem liegt die Brücke ein ganzes Stück von der nächsten Siedlung entfernt.«
Aus der Nebelwand tauchten vor ihnen zwei rote
Schlussleuchten auf. Es war ein Lkw, der sich vorsichtig seinen Weg durch die
dunkle Nacht bahnte. Christoph wagte es nicht, das Fahrzeug zu überholen. Er
kannte die Strecke und wusste, dass die Straße wie mit dem Lineal gezogen
geradeaus führte. Aber die Gefährdung eines plötzlich entgegenkommenden Autos
hätte er nicht vertreten können.
Es kam ihnen unendlich lange vor, bis sie die Schienen
am Bahnhof der kleinen Stadt überquerten.
»Wir müssen weiterfahren«, erklärte Mommsen. »Über den
Fluss und dann die alte Bundesstraße Richtung Heide. An der Kirche von St.
Annen geht es dann rechts ab.«
»Das ist doch gar nicht mehr unser Bereich. Dafür sind
die Dithmarscher Kollegen zuständig.«
»Die Grenze verläuft in der Mitte des Flusses. Aber
von unserer Seite kommt man nicht direkt an die Stelle heran. Es gibt nur einen
schmalen Weg von Friedrichstadt aus. Und der endet am Remonstrantenhof.«
»Was ist das?«, fragte Christoph.
»Das kann ich nicht beantworten. Ich sehe nur, dass
hier ein Hinweis auf der Karte eingetragen ist.«
»Merkwürdig«, murmelte Christoph halblaut vor sich
hin. »Jetzt haben wir einen Toten beim Zugunglück, und mir fällt spontan ein,
dass sich van Oy, der Schulleiter, stolz zu dieser Glaubensgemeinschaft bekannt
hat.«
Christoph reichte Mommsen sein Handy, da der Kommissar
mit seinem eigenen den Kontakt zur Husumer Zentrale aufrechterhielt. »Versuch
bitte noch einmal, Wilderich zu erreichen. Beide Nummern sind
Weitere Kostenlose Bücher