Tod am Kanal
eingespeichert.«
Mommsen hielt sich Christophs Mobiltelefon ans andere
Ohr und lauschte eine Weile stumm, bis er schließlich sagte: »Nichts. Weder auf
dem einen noch auf dem anderen Anschluss.« Er lächelte matt. »Vielleicht war er
gestern wieder auf Erkundungstour in der Husumer Szene. Nun ein wenig langsamer. Da ist die Kirche.«
Im dichten Nebel war die St.-Anna-Kirche mit dem
kleinen Kirchturm, der mitten aus dem Dachfirst des Gotteshauses emporwuchs,
kaum zu erkennen.
Christoph musste auf der gewundenen Straße, die mehr
einem landwirtschaftlichen Weg glich und Richtung Eiderdeich führte, alle
Konzentration aufbieten, um sich voranzutasten. Die wenigen Häuser, die nur im
Umriss zu erahnen waren, verstärkten den düsteren Eindruck der Gegend.
Beschnittene Kopfweiden säumten den kurvenreichen Weg. »Und wenn er nicht in
Husum unterwegs war? Wir beide kennen Große Jäger lange genug, um uns
vorstellen zu können, dass er seinem Namen alle Ehre macht und es nicht
auszuschließen ist, dass er auf eigene Faust nach Fouad al-Shara gesucht hat,
weil er sich nicht ausreden lässt, dass ihn am Angriff auf Hilke eine Mitschuld
trifft.«
Schließlich hatten sie die Stelle erreicht, an der
eine Reihe von Einsatzfahrzeugen mit zuckenden Blaulichtern am Eisenbahndamm
standen. Der Weg, auf dem sie gekommen waren, führte durch einen schmalen
Tunnel unter dem Bahndamm hindurch. Direkt an dieser Stelle lag ein Bauernhof.
Sie stiegen aus und erklommen über eine baufällige Treppe, die zu einer
Blockstelle führte, den Damm. Dort gingen sie neben dem Zug entlang, der erst
ein ganzes Stück hinter der Brücke zum Stehen gekommen war. Rund um die Lokomotive
war eine ganze Reihe von Einsatzkräften beschäftigt. Die Feuerwehr hatte grelle
Strahler installiert, die die gespenstische Szene diffus ausleuchteten.
Ein Mann in Feuerwehruniform trat ihnen entgegen.
»Halt. Da können Sie nicht hin.«
»Wir sind von der Kripo«, entgegnete Christoph.
»Wenn Sie sich das antun wollen – von mir aus«, sagte
der Einsatzleiter und trat zur Seite. Sie hatten die Spitze des Zuges erreicht
und sahen, wie sich drei Männer in Arbeitsanzügen unter dem Vorderteil der Lokomotive
zu schaffen machten.
»Halt«, sagte Christoph. »Hören Sie sofort damit auf.
Oder gibt es noch Verletzte zu versorgen?«
Einer der Uniformierten kam in die Höhe. Er sah
übernächtigt aus und hatte ein kreideweißes Gesicht. »Scherzkeks«, fluchte er.
»Bist du so blöde? Oder was soll das?«
Christoph ging nicht auf den Anwurf des Mannes ein.
»Kripo. Bevor dort irgendetwas unternommen wird, brauchen wir die
Spurensicherung.«
»Hört auf, Jungs«, sagte der Feuerwehrmann zu seinen
Kollegen. »Da ist so ein Oberschlauer. Soll der doch den Rest zusammenkratzen.«
Christoph und Mommsen beugten sich unter das Fahrwerk.
Ihnen bot sich ein grauenhafter Anblick. Wären dort nicht Kleidungsfetzen zu
erkennen gewesen, hätte auch die Fantasie nicht ausgereicht, aus dem, was noch
zu sehen war, auf einen Menschen zu schließen.
Christoph war froh, dass er einen leeren Magen hatte.
Seit seiner Versetzung nach Husum war er bereits ein paarmal mit Opfern von
Verbrechen konfrontiert worden, die gewaltsam zu Tode gekommen waren. Vor
seinem geistigen Auge tauchte das kleine Mädchen auf, die eine Weile in einer
Feldscheune in der Nähe von Witzwort gelegen hatte. Oder der unglückliche Mann,
dem man am Mauerwerk des Eingangs zum Husumer Palmengarten den Schädel
eingeschlagen hatte. Daran wird man sich wohl nie gewöhnen können, dachte er.
Und das ist auch gut so.
Er ging auf den Feuerwehrmann zu, der ihn eben so
unwirsch behandelt hatte.
»Bei einem solchen Einsatz ist man zunächst
fürchterlich erschrocken. Aber wir müssen klären, wer dafür verantwortlich
ist.«
Der Mann, er mochte um die vierzig sein, sah zuerst
grimmig aus, dann nickte er. »Nichts für ungut. Aber das geht uns an die
Nieren. So was siehst du nicht täglich. War nicht so gemeint – vorhin.«
»Haben Sie etwas gefunden, das auf die Identität des
Opfers schließen lässt? Papiere? Persönliche Gegenstände? Kleidung?«
Der Mann wischte sich mit dem Ärmel die Nase. »Nee.
Nix.« Er nickte in Richtung Lokomotive. »Das ist alles ein Brei.« Als ihm
bewusst wurde, was er gerade gesagt hatte, begann er zu würgen. Nachdem er sich
gefangen hatte, sagte er: »Mensch. Wir sind keine Profis so wie ihr. Die
Kameraden machen das freiwillig. Da kriegst du einen Schock, wenn du das
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