Tod am Laacher See
Viertel nach sieben.«
Wärmland fragte Müller noch, ob er wisse, wie lange Theisens
Morgenausflüge für gewöhnlich dauerten. Ohne genauer darauf geachtet zu haben,
schätzte Müller, dass es immer so etwa eine Stunde gewesen war. Theisen sei
zwar noch recht munter für sein Alter, aber er habe einmal angedeutet, dass ihm
das Laufen nicht mehr so leichtfiel und ein halbstündiger Hin- und ein
halbstündiger Rückweg das Maß war, mit dem er noch gut zurechtkam. Müller
schloss dann auch kategorisch aus, dass Theisen den gesamten See umrundet
hatte, woraus sich die Möglichkeit ergeben hätte, dass er vielleicht im Kloster
oder in der Basilika Station gemacht hatte oder dort jemandem begegnet war.
Das war in Wärmlands Augen natürlich bedauerlich. Denn damit war die
Chance auf eine undramatische Lösung wohl geplatzt. Also mussten sie suchen.
Regine Nau schaute wie Wärmland über die weite Wasserfläche des
Laacher Sees. Der Himmel hatte sich zugezogen, und sein Spiegelbild im See war
nun nicht mehr blau, sondern überwiegend grau. Alles wirkte jetzt kühler und
abweisender. Die Gedanken an das ungewisse Schicksal der vier vermissten Männer
taten ihr Übriges, um das romantisch verklärte Bild des Sees zu beschädigen.
»Sie haben Taucher angefordert, Chef. Haben Sie die schon mal im
Einsatz gesehen?«
»Oh ja, damals in Mainz«, erwiderte Wärmland. »Da haben wir die
andere der beiden Tauchstaffeln im Land. Es gab immer wieder mal was für sie
auf dem Rhein zu tun. Oder an einem der Kiesgrubenseen.«
»Zwei Boote für ein so großes Gewässer, das klingt nicht nach großen
Chancen für eine erfolgreiche Suche, oder?«, fragte sie weiter.
»Ich denke nicht, dass die Kollegen den ganzen See absuchen müssen.
Mir scheint, der Wirkungsbereich unserer vermissten Personen befindet sich in
der Hauptsache drüben am Ostufer. Aber ein bisschen Glück gehört immer dazu.«
»Können wir mit rausfahren?«
»Das wohl eher nicht. Die sind genau aufeinander eingespielt. In
jedem Boot fährt ein Bootsführer mit einem oder zwei Tauchern. Dazu ein
sogenannter Leinenmann und ein Signalmann. Das sind schon vier oder fünf in
einem Boot. An Land koordiniert der Gruppenführer, in der Regel auch ein
Hauptkommissar, die Abläufe vom Taucherbasisfahrzeug aus. Und natürlich darf
auch eine ärztliche Fachkraft nicht fehlen, für den Fall, dass die Taucher ein
Problem kriegen. Na, Sie werden es ja sehen, wenn der Zirkus hier losgeht.«
Nach einer knappen Stunde war es endgültig vorbei mit der Ruhe
auf dem Campingplatz. Rugowski und seine Männer von der Spurensicherung
beschäftigten sich mit den Booten. Zwanzig Bereitschaftspolizisten waren
unterwegs zum Ostufer, zusammen mit einem Hundeführer und seinem belgischen
Schäferhund, der als Leichenspürhund ausgebildet war. Währenddessen ging die
Tauchstaffel mit zwei Booten auf den See. Mit an Bord hatten sie einen der
beiden Angler. Er sollte ihnen die Stelle zeigen, an der sich die treibenden
Boote befunden hatten. Der Gerichtsmediziner Dr. Leyendecker wartete unterdessen
im Restaurant auf einen möglichen Einsatz. Er hatte es zwar für ungewöhnlich
befunden, noch vor einem Leichenfund gerufen worden zu sein. Aber da man
Blutspuren gefunden hatte und Wärmland als sehr ernst zu nehmender
Mordermittler galt, hatte auch er die Wahrscheinlichkeit für seinen Einsatz als
hoch eingestuft.
Während die Kollegen ihre Arbeit verrichteten, fragte sich Wärmland
immer wieder, welche Rolle dem vermissten alten Herrn in diesem Stück
zugefallen war. War es möglich, dass er die Männer aus dem Norden kannte? Gab
es irgendeine Verbindung, vielleicht sogar zum Taucher selbst? Wärmlands
Phantasie reichte nicht aus für irgendein Konstrukt, das er für möglich oder
gar wahrscheinlich hielt. Vielleicht war der Alte nur durch Zufall in die Sache
hineingeraten. So oder so, Wärmland fürchtete, dass es um Theisen nicht zum
Besten stand. Alle Ereignisse hatten sich am frühen Morgen in etwa zur selben
Zeit abgespielt. Je länger Wärmland grübelte, umso sicherer war er, dass die
Vorfälle in unmittelbarem Zusammenhang zueinander standen.
Wärmlands Anfangsverdacht wurde durch die Kollegen von der
Spurensicherung schließlich bestätigt. Die Flecken im Boot waren menschliches
Blut. Kein gutes Zeichen. Was Wärmlands kaum noch bestehenden Zweifel daran,
dass eine Gewalttat vorlag, endgültig ausräumte. Die Frage, die ihn
beschäftigte, war nur noch, wie viele Tote es gegeben
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