Tod am Laacher See
wieder
diesen Geruch, den es hier früher nicht gegeben hatte. Sein Bruder lag
schlafend auf dem Sofa, und der Fernseher lief. Auf dem Couchtisch stand eine
Flasche Whiskey, die zur Hälfte leer war. Jörg hatte offenbar auch versucht,
einen Joghurt zu essen, doch dann war ihm anscheinend die Packung auf den Boden
gefallen und hatte einen großen Joghurtklecks hinterlassen, der nicht entfernt
war. Die Kühlschranktür war nur angelehnt, und es tropfte auf den Boden.
Wärmland konnte das jetzt nicht ertragen. Nicht heute Abend. Er bestellte ein
Taxi und weckte Jörg.
»Zieh dich an, gleich kommt dein Taxi«, sagte Wärmland, während er
den Joghurt beseitigte.
»Was heißt denn Taxi? Hast du für mich eine Reise gebucht?«, fragte
Jörg verschlafen.
»So kann man es sagen. Wo hast du den Whiskey her?« Wärmlands Ton war
scharf.
»Den hat mir ein netter Herr hier aus dem Haus mitgebracht. Ich hab
ihn auf der Treppe gehört, und er sagte, dass er einkaufen geht. Also hab ich
gefragt, ob er mir den kleinen Gefallen tun kann. Ist das etwa ein Problem für
dich?«
»Für mich nicht, aber für dich, großer Bruder«, sagte Wärmland
trocken. »Denn du wirst mich jetzt verlassen, mit oder ohne Whiskey, das ist
mir egal. Hauptsache, du gestaltest deine Tage ab jetzt woanders.«
Jörn saß inzwischen auf der Couch und rieb sich die Augen. »Soll das
heißen, du wirfst mich raus?«
»Rauswerfen? Was denkst du nur? So was würde ich nicht übers Herz
bringen«, antwortete Wärmland. »Ich schmeiß dich
raus! Und zwar jetzt sofort. Ich geb dir Geld, und du kannst mit dem Taxi zum
Bahnhof fahren oder nach Andernach oder wo immer du auch hinwillst. Nur weit
weg vom kleinen Jan. Hast du mich verstanden? Dein Taxi ist spätestens in
zwanzig Minuten da. Du solltest pünktlich an Bord gehen.«
»Ist ja gut, ist ja gut, hab verstanden«, erwiderte Jörg und ging
ins Bad. Nach zehn Minuten erschien er wieder im Wohnzimmer, einigermaßen
hergerichtet, aber ohne geduscht zu haben. Wärmland wechselte kein weiteres
Wort mehr mit ihm, sondern drückte ihm stumm seine komplette Barschaft in Höhe
von zweihundertsechzig Euro in die Hand, als der Taxifahrer klingelte.
Sein Bruder nahm das Geld ebenso kommentarlos entgegen, steckte die
Whiskeyflasche in seine Jackentasche und verließ die Wohnung. Auf dem
Treppenabsatz machte er kurz halt und schaute sich noch einmal um. »Das sind
die langen Winter am Polarkreis«, sagte er und ging die Stufen hinab.
Die Haustür schlug zu, und Wärmland stand noch immer oben an seiner
Wohnungstür. Mit dem Hemdsärmel wischte er sich einen kleinen Tropfen von der
Wange. Es war einfach zu viel geworden mit den Eindrücken um Ariane und seinen
Bruder. Alles fühlte sich plötzlich schlecht an.
Eine knappe Stunde später rief sie an. Wärmland hatte diesen
Anruf gefürchtet. Denn heute schien der Tag der Entscheidungen zu sein.
Sie sprach ganz leise, als ob sie glaubte, ihr sanfter Ton könne die
harte Botschaft mildern. »Wir haben uns gar nicht richtig kennengelernt«, war
ihr erster Satz.
»Und das wird wohl so bleiben, nicht wahr?«, sagte Wärmland und rang
etwas um Fassung.
»Es tut mir sehr leid, mein lieber Jan Wärmland, dass ich Ihnen das
jetzt sagen muss, weil ich weiß, dass Sie die Hoffnung hatten …« Sie machte
eine kleine Pause, bevor sie stockend weitersprach. »Ich glaube, Sie haben
gehofft, dass wir uns näherkommen würden.« Wieder eine Pause. »Es gab Momente,
da habe ich mir das auch gewünscht. Aber das andere hat mich nie ganz
losgelassen. Ich meine meine Familie, meine Kinder – und ihren Papa. Peter ist
zurückgekommen. Zu seinen Kindern und zu mir. Wir haben schon ganz viel
geredet. Wahrscheinlich reden wir noch die ganze Nacht. Er hat eingesehen, dass
es ein Fehler war, uns im Stich zu lassen, und mich gebeten, ihm zu verzeihen.
Wissen Sie, Jan, wenn ich allein wäre und meine Verletzung noch ein wenig
größer, dann hätte ich ihn vielleicht fortgeschickt. Aber unter den Umständen,
wie sie nun mal sind, da konnte ich das nicht. Ich musste auch an die Kinder
denken. Daran, dass sie eine richtige Familie haben sollen, und daran, dass sie
ihren Papa sehr vermisst haben.«
»Ich hoffe, Sie wissen, dass das kein Spiel für mich war.«
»Das war es auch für mich nicht. Es war mir sehr ernst.«
Sie schwiegen einen Augenblick.
»Es ist gut für die Kinder«, sagte Wärmland schließlich. »Und es war
mein Fehler, so bald nach dem Ende Ihrer Beziehung davon auszugehen,
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