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Tod & Trüffel

Titel: Tod & Trüffel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Sebastian Henn
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in der vergangenen Nacht so viel Angst gehabt, dass keine mehr übrig war.
    Sie wäre auch nicht nötig gewesen.
    Ein einzelnes Wildschwein hing kopfüber im Container und fraß etwas, das dort auf jeden Fall schon viel zu lange drin lag. Das machte ihm anscheinend großen Spaß.
    »Wo sind die anderen?«, fragte Niccolò, erhielt aber keine Antwort. Deswegen sprang er auf den zurückgeschobenen Deckel. »Hallo? Kannst du mal eine Sekunde aufhören, diese ... Köstlichkeiten zu futtern.«
    »Krikst nix aab!«
    »Wo sind die anderen Wildschweine? Und die Wölfe?« »Wääg. Ha’m sich vapisst. Will fräss’n. Hauaab Rattää! Soonst frääss ich dich!«
    »Klar.«
    Es war Strafe genug für die Sau, diesen Dreck zu verspeisen, dachte Niccolò. Und sah von einem Kampf ab. Er ließ das Schwein allein und schlug den kürzesten Weg in den Wald ein, folgte den vereinzelten Blutspuren, die auf dem Straßenpflaster und später im weichen Erdboden zu sehen waren. Niccolò musste nicht lange laufen. Schnell fand er die Prozession der Wölfe und sah, warum sie noch nicht weit gekommen war. Sie brachten ihre Toten aus dem Ort. Es waren fast so viele wie lebende Wölfe. Trotzdem liefen zwei ausgewachsene Tiere verwirrt um das Rudel herum. Sie erinnerten Niccolò an Motten, die das Licht suchten und gleichzeitig vor der Hitze flohen. Auch der weiße Leitwolf war tot. Er wurde von der Hündin gezogen, die er mit Isabella im Weingut befreit hatte. Ein Wolfswelpe spielte vergnügt um ihre Läufe, während sie den vom Schleifen schmutzig gewordenen Grarr verbissen den steilen Hang hinaufzerrte. Eine junge Wölfin wollte ihr helfen, als es über eine aus dem Boden ragende Wurzel ging, doch sie ließ es nicht zu, stattdessen verbiss sie sich noch tiefer in den Körper des toten Wolfes. Er gehörte ihr. Niemandem sonst.
    Niccolò rannte hinauf zu dem Wolf, der zuvorderst ging.
    Er hatte einen runden Fleck ums Auge. Es war Vespasian, der gestern den Bund mit der Hundemeute eingegangen war. Und der ihm glücklicherweise seine frühere Zurückweisung nicht nachgetragen hatte.
    »Warum geht ihr?«, fragte Niccolò.
    »Willst du uns etwa lieber hierbehalten?« Vespasian schob einen vom Wind umgestürzten Baumstamm zur Seite. »Wenn du mich so fragst ... «
    »Wir wollen uns auch nicht länger im Dorf haben.« »Aber ich dachte ...«
    Vespasian drehte sich zu ihm um. »Das ist manchmal das Problem. Das Denken. Grarr tat es. Deswegen hatte er eine Vision. Sie war stark genug für alle. Doch sie entsprang nur ihm. Fühlst du die Erde unter deinen Füßen? Was ist dagegen euer harter Beton in den Straßen der Zweibeiner? Wie stickig ist die Luft in den Häusern und wie unnatürlich gerade sind die Wände?« Er hielt seine Schnauze nahe am Boden, Niccolò andeutend, es ihm nachzutun. »Riechst du das vom Nebel feuchte Blattwerk? Sag mir, was kann es Schöneres geben? Unser Platz ist hier. Ist es immer schon gewesen. Dieses Reich sollen die Menschen uns lassen. Die von ihnen mit Stein übergossene Welt können sie behalten. Grarrs Vision mag falsch gewesen sein, jedoch nicht, dass wir unseren Anspruch auf Land ausgedrückt haben. Dafür haben wir teuer bezahlt. Ich hoffe, die Zweibeiner haben etwas begriffen – und lassen uns in Ruhe. Mehr wollen wir nicht.«
    »Wir haben Seite an Seite gekämpft.«
    »Wir sind ungleiche Brüder, Windspiel. Ein gemeinsamer Gegner verbindet nur so lang, wie er auch existiert.« Vespasian machte eine Pause. »Aber wenn es nochmals einen solchen geben sollte, werden wir gerne an eurer Seite stehen.«
    Eine Weile lief Niccolò schweigend neben dem Wolf her. Vieles bewegte sich in seinen Gedanken, doch Fragen formtensich nicht. Außer der einen, die er sich stellte, seit er die Wölfe am Hang gesehen hatte. »Was macht ihr mit euren Toten? Lasst sie doch einfach liegen, die Menschen werden sich darum kümmern.«
    Vespasians Blick zeigte Unverständnis. »Es sind unsere Toten, sie gehören unserem Rudel. Hätten wir Hunger, würden wir sie fressen. Doch zur Zeit wollen wir nur, dass sie nicht von Zweibeinern aufgelesen werden wie überreife Äpfel. Sie sollen wieder zu Wald werden.«
    »Ich wünschte, wir hätten früher zueinandergefunden.« Niccolò schob einen Stein fort, der im Weg lag.
    »Das war nicht möglich. Doch all dies hat uns letztlich gerettet. Unser Rudel war viel zu groß geworden. Wir hatten nur genug zu fressen, weil die Kralle fast nichts anderes mehr tat als zu jagen. Den vor uns liegenden Winter,

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