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Tod & Trüffel

Titel: Tod & Trüffel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Sebastian Henn
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er, »die Mutter will es so. Verjagt sie nur ein für alle Mal aus unserem Reich!«
    Seinen Worten folgten Bisse. Kein einziges Mal jedoch stürzte sich das Rudel gemeinsam auf ein schwaches Opfer, obwohl es an Gelegenheiten nicht mangelte. Nur Beine und Arme waren ihre Ziele, Kehlen und Köpfe ließen sie unberührt. Schmerzen trugen die Menschen trotzdem zuhauf davon.
    »Geschieht ihnen recht!«, jubelte Isabella und sprang immer wieder in die Höhe, die Fäuste reckend, schrie ihr Glück hinaus. » Geschieht euch recht, ihr Drecksäcke! «, brüllte sie hinunter in den Ort. Canini tanzte um sie herum, hohe Kläffer von sich gebend. So ausgelassen hatte Niccolò die Spanielhündin noch nie gesehen.
    Seine Stimmung lag am anderen Ende des Gefühlsspektrums. Die Besetzer waren nicht vertrieben worden. Selbst Feuer hatte ihnen nichts anhaben können.
    Was hatten diese Wölfe nur an sich? Sie waren nicht normal, das stand fest. Aber irgendeine Schwachstelle mussten sie doch haben, und er war derjenige, der sie finden würde.
    Ein Heulen war zu hören, doch diesmal stammte es nicht von den Wölfen. Es war der Dobermann des Menschen, der ein neues, besseres Rimella errichten wollte. Er klagte von der Ladefläche eines etwas entfernt von Rimella stehenden Lasters aus die Welt an. Denn das Glück seines Herrn lag ihm am Herzen, genauso wie Niccolò das von Isabella. Niccolò spürte ihre Freude, doch sie verletzte ihn. Sie war ihm so nah und doch so unglaublich fern.
    »Ab morgen, Niccolò, wird sich alles ändern! Dann kommen meine Freunde und viele andere Menschen, alle werden sie hier oben bei uns bleiben und dafür sorgen, dass den Wölfen nichts mehr passiert. Eine Armee wird kommen, ein ganzes Heer von Verbündeten.«
     
    Es fühlte sich an, als wäre eine alte Wunde aufgerissen worden, die längst verheilt schien. Zum Schmerz gesellte sich der Schrecken, dass sie immer noch existierte. Als Giacomo in der Morgendämmerung hinter dem Spürer herging, hoffte er auf Heilung. Durch den, der ihm dies angetan hatte. Warum, wusste er nicht. Er versuchte nicht zu denken. Nur zu gehen.
    Der Spürer hatte nach der Bezahlung gesagt, er spüre die Seele einer anderen verstorbenen Kreatur in der Nähe, eine starke, wütende, die etwas erzählen wollte. Dort würde er hingehen. Also war Giacomo ihm gefolgt.
    Der Tag kam so schnell, als habe er es eilig, die Nacht in die Schranken zu weisen. Der Tau verflüchtigte sich, und die Welt hörte auf zu blitzen.
    Erst als der Boden unter seinen Füßen hart wurde, bemerkte Giacomo, dass sie über die Hauptstraße Rimellas gingen. Im Dorf hatte sich der Gestank von Rauch festgesetzt, er schien aus jedem Mauerstein zu dringen und verwandelte Giacomos sonst so farbige Geruchswelt in ein einziges, schlieriges Grau. Er schaute auf und sah, dass Wölfe auf der Straße standen. Jedoch nicht, um sie aufzuhalten oder anzugreifen. Sondern einfach nur um zu schauen. Die Blicke galten dem blinden Border-Collie vor ihm, die Wölfe flüsterten miteinander und schienen etwas wie Ehrfurcht, vielleicht sogar ein wenig Angst zu empfinden.
    »Ich komme wegen keinem von euch«, sagte der Spürer an niemanden Bestimmtes gerichtet. »Zumindest nicht deshalb, weswegen ihr euch fürchtet.«
    Als sie an der Piazza angekommen waren, sah Giacomo einen Wolf mit weißem Fell am Brunnen stehen und demonstrativ in aller Seelenruhe trinken. Seine intensiv hervorstechenden Augen erinnerten ihn an Kirschen.
    Er mochte keine Kirschen.
    Und diese folgten ihm.
    Nicht dem Spürer.
    Ihr Blick galt eindeutig ihm.
    Deshalb war er froh, als sie wieder aus dem Dorf traten, die betonierte Straße hinter sich ließen und den Wald erreichten. Dort spürte er die reifenden Trüffel im Boden unter seinen Pfoten. Die Wunde riss noch weiter auf, sein ganzer Kopf schien nun zu brennen. Er musste an alte Zeiten denken,als er mit seinem Menschen solche Wege gegangen war. An ein anderes Leben, einen anderen Giacomo. Dieser war tot, aber die Leiche lag immer noch in seinem Inneren.
    »Wir sind gleich da – oder zumindest ich«, sagte der Spürer. »Du hast noch einen weiten Weg vor dir, und ich hab nicht die geringste Lust, ihn mit dir zu gehen. Möchtest du ihn denn überhaupt selbst auf dich nehmen?«
    Er wollte keine Fragen mehr beantworten. Stattdessen würde er an etwas Angenehmes denken. Barolo zum Beispiel. Giacomo versuchte, sich darauf zu konzentrieren. Doch es fiel ihm schwer. Sich Glück vorzustellen war plötzlich harte Arbeit

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